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Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden

Titel: Wer regiert die Welt? – Warum Zivilisationen herrschen oder beherrscht werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ian Morris
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– wilde Vorformen im Fruchtbaren Halbmond. In Ostasien gab es fünf, in Südamerika gerade eine dieser domestizierbaren Arten. Nicht eine dieser Arten lebte in Nordamerika, Australien oder in Afrika südlich der Sahara, dabei wimmelte es dort von großen Tieren. Doch sind der Domestizierung von Arten wie dem gefräßigen Löwen oder der haushohen Giraffe offensichtlich Grenzen gesetzt.
    Darum sollten wir auch nicht davon ausgehen, dass die Menschen im Fruchtbaren Halbmond den Ackerbau erfunden haben, weil sie anderen genetisch oder kulturell überlegen gewesen wären. Sie teilten einfach den Lebensraum mit vielen (und leichter als anderswo) zu domestizierenden Pflanzen und Tieren, nur darum gelang es ihnen als Ersten, sich zu deren Herren zu machen. Das Angebot wilder Pflanzen und Tiere in den diversen Regionen Chinas war nicht ganz so günstig, aber immer noch gut; zur Domestizierung kam es hier rund zwei Jahrtausende später. Hirten in der Sahara, denen nur Schafe und Rinder zur Verfügung standen, brauchten weitere 500 Jahre, und weil Feldfrüchte in der Wüste nicht gediehen, wurden sie nie zu Ackerbauern. Die Menschen im Hochland Neuguineas standen vor dem umgekehrten Problem: Hier gab es nur eine schmale Auswahl an Pflanzen und keine domestizierbaren großen Tiere. Sie benötigten weitere 2000 Jahre und wurden niemals Viehzüchter. Die agrikulturellen Kerngebiete in der Sahara und Neuguinea brachten – im Unterschied zum Fruchtbaren Halbmond, |126| zu China, dem Indus-Tal, Oaxaca und Peru – keine eigenen Städte und auf Schrift basierende Kulturen hervor: nicht weil sie minderwertig gewesen wären, sondern weil ihnen die natürlichen Ressourcen fehlten.
    Den Ureinwohnern Amerikas standen mehr Angebote zur Verfügung, mit denen sie etwas anfangen konnten, als den Afrikanern und Neuguinesen, aber weniger als den Menschen im Fruchtbaren Halbmond oder in China. Die Menschen in Oaxaca und in den Anden entwickelten sich rasch, indem sie Pflanzen (aber keine Tiere) kultivierten, innerhalb von 25 Jahrhunderten ab Ende des Jüngeren Dryas. Für Truthühner und Lamas, die – von Hunden abgesehen – einzigen Tiere, die sich dort domestizieren ließen, brauchten sie Jahrhunderte länger.
    Die schmalsten Ressourcen überhaupt hatten die australischen Ureinwohner. Ausgrabungen in jüngerer Zeit ergaben, dass sie mit der Züchtung von Aalen experimentierten, und sie hätten, wenn ihnen einige weitere ungestörte Jahrtausende vergönnt gewesen wären, auch sesshafte Lebensweisen entwickelt. Stattdessen aber wurden sie im 18. Jahrhundert von europäischen Kolonisten überwältigt, die Weizen und Schafe importierten, Abkömmlinge der ursprünglichen Ackerbaurevolution im Fruchtbaren Halbmond.
    Die Menschen aller Weltregionen waren, soweit wir das wissen können, einander tatsächlich ziemlich gleich. Allen bot die Erderwärmung neue Wahlmöglichkeiten: Sie konnten entweder weniger arbeiten oder gleich viel arbeiten und mehr essen, sie konnten aber auch mehr Nachkommen haben, selbst wenn dies mehr Arbeit bedeutete. Mit der neuen Klimalage war es ihnen möglich, in größeren Gruppen zu leben und weniger herumzuziehen. Überall in der Welt, wo sich die Menschen entschieden, sesshaft zu werden, mehr Kinder zu haben und auch mehr zu arbeiten, übertrafen sie jene anderen, die diesen Weg nicht gingen. Es ist allein der Natur zu verdanken, dass dieser Prozess im Westen früher begann als anderswo.
    Jenseits von Eden
    Dem könnte ein Vertreter der Theorie langfristiger Determiniertheit durchaus zustimmen. Vielleicht, würde er sagen, waren die Menschen tatsächlich überall weitgehend gleich, vielleicht hat es die Geographie denen im Westen nur leichter gemacht. Aber, wird er fortfahren, Geschichte ist mehr als Wetter und Größe des Saatguts. Schließlich mache es einen Unterschied, welchen Weg die Menschen einschlagen. Wollten sie weniger arbeiten oder wollten sie mehr essen und größere Familien durchbringen? Wie eine Geschichte ausgeht, ist häufig mit deren Beginn schon festgelegt. Vielleicht regiere der Westen heute die Welt, weil vor über 10   000 Jahren im Fruchtbaren Halbmond eine bestimmte Kultur entstanden ist, die zum Vorfahren aller späteren westlichen Gesellschaften wurde. Sie könnte doch einfach größere Potenziale haben als die Kulturen, die in anderen Kernregionen der Welt geschaffen wurden.
    |127| Betrachten wir die am besten dokumentierte, älteste und (in unseren Tagen) mächtigste Kultur, die

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