Wer sagt, dass Kinder gluecklich machen
denkt auch die Mittdreißigerin mit den tiefen Augenringen,
die kürzlich an der Supermarktkasse zu einer Hochschwangeren sagte: »Na, ich wünsche Ihnen viel Glück! Mein Sohn hat ein halbes Jahr fast nur geschrien. Jetzt ist er neun Monate alt und ich arbeite wieder zwanzig Stunden die Woche. Das ist der schönste Moment des Tages, wenn ich ihn bei der Tagesmutter abgebe und zur Arbeit gehen kann. Hätte ich vorher auch nicht gedacht, als ich schwanger war. Alles Gute!« Dieses Leuchten in ihren Mutteraugen, als sie sich umdrehte und eine bedröppelte Schwangere zurückließ!
»Oh Gott, wirklich so schlimm?«, fragte sie erschrocken die Kassiererin.
»Schlimmer«, lächelte die.
Ja, so fies können Mütter sein!
Genauso schwer fällt es uns, Freunden aufrichtig zum Lottogewinn zu gratulieren, wenn unser Konto uns gerade ganz schlechte Laune macht, oder uns ernsthaft mitzufreuen, wenn sie den pflegeleichteren, begabteren, vielleicht sogar hübscheren Nachwuchs haben. So ist der Mensch nun mal gestrickt. Davon abgesehen haben wir natürlich alle die besten, schönsten und klügsten Kinder dieser Welt. Wir sind ja schließlich ihre Eltern!
Drei Frauen und ihre kleinen Kinder machen zusammen Urlaub an der Ostsee. Es könnte so idyllisch sein, wenn sie ihre Sprösslinge einfach nur in Ruhe im Wasser planschen und Strandburgen bauen ließen.
»Kevin, gib dem Daniel sofort die Muscheln wieder«, schreit die eine.
»Daniel, lass doch den Kevin auch mal mitspielen«, ruft die andere.
Und was macht die Dritte? Sie lächelt und sagt
gar nichts. Aber sie denkt etwas, und zwar Folgendes: Ich habe mein Kind zum Glück viel besser im Griff als die anderen. Aber Mütter können Gedanken lesen und deshalb passiert jetzt etwas, das Psychologen »Übertrumpfungssucht« nennen. Alle Mütter denken: Na, das wollen wir doch mal sehen! Eine schreit jetzt mehr als die andere, sie überbieten sich geradezu im »Erziehen«, um zu zeigen: Ich habe mein Kind noch besser im Griff.
Ende der Strandidylle. Die Mütter schreien, die Kinder heulen.
Kinder, so scheint es, sind heutzutage kein Spaß mehr, sondern eine schwierige Rechenaufgabe, die nur mit allerhöchster Konzentration zu lösen ist. Sind daran die Eltern oder die Kinder schuld?
Oskar Holzberg, Psychologe
Mütter konkurrieren, weil Kinder Selbstobjekte sind. Das heißt, nur wenn mein Kind toll ist, bin ich auch toll. Nur dann kann ich mich mit mir selbst gut fühlen. Mütter haben Angst vor Entwertung, Angst, es nicht geschafft zu haben. Kinder sind ja wie Doktorarbeiten, wo man sehen kann: Das hast du toll oder eben weniger toll gemacht. Man hört es ja als Eltern viel zu wenig, dieses »Guter Job, tolles Kind, du kannst stolz sein!«.
Männer protzen mit Statussymbolen, Frauen fahren praktische Kleinwagen mit vier Türen, ohne dass ihnen ein Zacken aus der Krone bricht, dafür ringen sie verbissen darum, die Supermami zu sein. Ständig vergleichen sie sich deshalb mit anderen Müttern, was die Selbstzweifel leider nur immer mehr verstärkt.
Mütter mobben subtil.
Wer kennt es nicht, dieses böse, kleine Gefühl: Mein Kind nervt mich gerade so, dass ich es an die Wand klatschen könnte. Und dann sitzt man neben einer Mutter, die einem erzählt, dass Klein-Leonie »so etwas von pflegeleicht ist, ich weiß gar nicht, womit ich das verdient habe!«. Man zwingt sich dieses Raubtierlächeln ab, das richtig wehtut, und sagt: »Wie schön für dich, aber mein Jan-Philipp macht mir auch überhaupt keine Probleme.« Schade, dass wir so selten ehrlich miteinander sind, dass diese Lügen und Halbwahrheiten das ganze Leben unserer Kinder durchzieht.
Dorothee, 38, zwei pubertierende Kinder, hat mit Ehrlichkeit nur gute Erfahrungen gemacht. »Ich bin gnadenlos ehrlich, was meine Kinder angeht. Als mein Ältester beim Klauen im Kaufhaus erwischt wurde, habe ich es anderen Teenie-Müttern erzählt und sie um Rat gefragt. Unglaublich,
was ich da für Horrorgeschichten, vom Fahren ohne Führerschein bis zu schlechten Zeugnissen, hörte. Mütter müssen doch zusammenhalten, oder?«
Ja, müssen sie. Aber den meisten Druck üben leider Mütter auf andere Mütter aus. Kinderkriegen ist kein Vorgang, den Frauen selbstlos praktizieren, um etwas fürs Gemeinwohl zu tun. Sie machen es, weil sie hoffen, dass sie dafür belohnt werden, und zwar mit einem hundertprozentig gelungenen Kind. »Mutter sein und eine Führungsaufgabe wahrnehmen, ist offenbar immer noch eine gesellschaftliche
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