Wer sagt, dass Kinder gluecklich machen
bemerken, außer dass Ihr Sohn Ihnen endgültig über den Kopf wächst und Ihre Tochter jeden Morgen wie ein Zombie geschminkt das Haus verlässt. Nach einem Schulabschluss als Jahrgangsbeste beginnt Ihr wohlgeratener Nachwuchs seine Ausbildung, die er in Rekordzeit abschließt, um danach sofort einen Job zu kriegen, bei dem er so viel verdient, dass seine Eltern nicht nur nie wieder etwas für ihn bezahlen müssen, nein, im Gegenteil, von ihm in Zukunft nur noch verwöhnt werden. »Ihr habt so viel für mich getan«, sagt der Nachwuchs bei einem seiner täglichen Anrufe: »Jetzt bin ich mal dran! Wollt ihr Business oder First nach Bali fliegen?«
Wie die Realität wirklich aussieht
Das wahre Leben dagegen klingt weniger nach Superfamilie, sondern mehr nach Selbsthilfegruppe. Die graue Wirklichkeit sind Schulabgänger, die wir mehr oder weniger mühsam
durch die Schule geschleift und für deren Nachhilfeunterricht wir den Gegenwert eines mittleren Kleinwagens bezahlt haben. Geschafft, denken die erschöpften Eltern, wenn ihr Kind die letzte Hürde mit Ach und Krach genommen hat und stolz ein Abschlusszeugnis in Händen hält. »Jetzt geht’s los«, meinte auch Verona, 51, ganz euphorisch, als sie ihren Sohn Fabian, 21, »durchs Abi geprügelt« hatte, wie sie es nennt. »Jetzt kommt die Uni und danach ein toller Job.« Ein schöner Traum! Nichts ging los. Die Fächer, die ihn interessierten, hatten einen zu hohen Numerus clausus, alle Lehrbetriebe mit dualer Ausbildung winkten ab, als sie sein, zugegeben saumäßiges, Abizeugnis sahen. Fieberhaft bemühten sich Verona und ihr Mann um ein Praktikum, irgendwas, irgendwo, Hauptsache, Fabian hatte eine Pseudobeschäftigung, die ihn morgens aus dem Bett zwang. »Wir sind unseren Freunden in dieser Zeit richtig auf die Nerven gegangen«, sagt Verona. »Jeden, der infrage kam, haben wir gefragt: ›Kann Fabian bei euch ein Praktikum machen? Ihr müsst auch nichts bezahlen.‹« Übrigens eine Praxis, die viele Unternehmen ausnutzen. Beschäftigungstherapie quasi zum Nulltarif. Dafür ein Kind, das sinnvoll unterwegs ist und nicht bis nachmittags im Bett herumlungert.
»Mein Sohn wollte ein Praktikum bei einer Produktionsfirma machen«, seufzt Edith, 49. »Er war siebenundzwanzig, hatte einen Abschluss von der Filmhochschule, wollte endlich loslegen, Geld verdienen. ›Vierhundert Euro‹, sagten die Leute von der Filmfirma, ›wenn Ihnen das zu wenig ist, kein Problem, wir haben genug Eltern, die glücklich sind, wenn wir ihre Kinder nehmen.‹« Ja, sie ist leider oft trügerisch, die elterliche Hoffnung, dass ihre Kinder nach der Schule »aus dem Gröbsten« heraus sind. Kaum vom Schulstress erholt, müssen wieder die Eltern ran, denn ihre Kinder fühlen sich in dieser Phase der Neuorientierung meist völlig überfordert. Abgesehen davon, dass die Welt nicht auf einen gewartet hat, woher soll man wissen, was man will, wenn man
keine herausragende Begabung hat, für nichts so richtig brennt, keine Leidenschaft und Interessen hat, also ein ganz normaler Schulabgänger ist?
»Ich erinnere mich nur mit Grauen an diese Zeit«, sagt Verona. »Wir hatten zwar ein paar Praktika aus Freunden und Verwandten herausgeschmeichelt, in der Apotheke meiner Schwägerin, auf dem Bau bei einem Freund meines Mannes, aber alle Beteiligten waren froh, als es vorbei war. Fabian war einfach nicht besonders anstellig, vermutlich, weil er ein Einzelkind ist und ich ihm immer alles [Ref32]
hinterhergeräumt habe.« Eine schwierige Zeit. Und was sie besonders schwierig macht, ist ihre Unabsehbarkeit. Wird unser Kind irgendwann sein eigenes Geld verdienen oder noch mit dreißig als Praktikant bei H&M die Regale aufräumen? »Warum kann er sich nicht an einer Uni einschreiben, mit jemandem seines Alters ausgehen, einen verdammten Abschluss machen, sich einen Job suchen, ein Leben aufbauen?«, schreibt die Schriftstellerin Lauren Grodstein in Die Freundin meines Sohnes. Und während sich im Laufe der Monate und Jahre die Spreu vom Weizen trennt, die Harten in den Garten beziehungsweise in Ausbildung und Beruf kommen, gehört ein viel zu großer Teil Kinder zwischen zwanzig und dreißig Jahren leider immer noch zur Generation Praktikum. In dieser Phase sind Eltern, deren Kinder – bereits doppelt promoviert – ihre erste Million in New York verdienen, für ihre Freunde, deren Nachwuchs gerade wieder zu Hause eingezogen ist, sehr schwer erträglich.
»Ich hasse sie, diese Eltern mit den
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