Wer schlafende Hunde weckt
bohrte. Aus dem Loch trat ein feines Staubwölkchen.
Wieder wurde sie beschossen, und anders als bei den meisten Dingen im Leben gewöhnte man sich daran nicht. Die Angst addierte sich sogar, als würde sie sich sofort an alle Angst aus Northumberland erinnern und die neue hinzufügen. Sie war auf allen vieren festgefroren, traute sich nicht, sich zu bewegen, aber auch nicht, dort zu bleiben.
Ein zweites Krachen folgte, begleitet von klirrendem Glas und wieder dem Einschlag in der Steinwand des Hauses, dann noch mal und noch mal.
Warum passierte ihr das? Sie hatte doch nichts getan. Wo war die Polizei? Wo war ihre Mutter? Wo war Onkel Jim? Wo war Fallan?
Er war weg, nicht mehr bei ihr, aber sie konnte ihn in der Nähe krabbeln hören, und unter einem Auto hindurch konnte sie ihn eine Parklücke weiter sehen.
Sie wagte, sich umzuschauen, und sah die Räder und die Seitenschürze des Vectras, der eben noch auf die Poller zugefahren war und jetzt mit laufendem Motor stand.
Die Schüsse verstummten, aber Jasmines Erleichterung hielt nur anderthalb Sekunden an, bis sie hörte, wie die Tür des Wagens aufgestoßen wurde. Der Schütze wollte aussteigen und nach ihnen suchen.
Doch plötzlich stieß Fallan sich mit den Fußballen ab, hechtete auf den Bürgersteig und rollte an den letzten parkenden Autos vorbei ins Freie. Er hockte, beide Hände vorsich gestreckt, in denen er etwas Metallisches hielt, was im Sonnenlicht des späten Nachmittags schimmerte.
Jasmine wartete auf die Schüsse, aber sie fielen nicht. Es knallte nur, als die Tür des Vectras wieder zuschlug, gefolgt vom schrillen Jaulen des Motors, als der Wagen schnell zurücksetzte. Jasmines Blick folgte dem Wagen aus der Froschperspektive, erst wichen die Räder und das Chassis ein paar Sekunden zurück, bevor die Reifen quietschten und der Motor aufheulte, als der Wagen eine präzise Hundertachtzig-Grad-Drehung hinlegte und vorwärts davonraste. Genau das Manöver hatte Fallan am Mittwoch mit seinem Landrover versucht, bloß hatte es diesmal bei dem Angreifer problemlos geklappt.
Sie blieb am Boden, bis sie sicher war, dass der Vectra wirklich weg war. Fallan kam zu ihr herüber. Sie sah es noch einmal metallisch schimmern, als er etwas in die Innentasche steckte.
Als er ihr auf die Beine geholfen hatte, sah sie sich um, schaute die Läden an, die von den Pollern versperrte Einmündung und die Straße dahinter. Knapp vierzig Meter rechts von ihr ging eine Frau mit ihrem Hund, ganz und gar außer Sichtweite des Geschehens, und sonst war niemand da – niemand kam angerannt und fragte, ob alles okay sei, niemand versteckte sich in einem Hauseingang, niemand rief mit dem Handy die Polizei oder, was wahrscheinlicher gewesen wäre, filmte damit die Szene. Zwar war eine Sackgasse nicht gerade ideal für ein Drive-by-Shooting, aber sonst hatte der Schütze sich den perfekten Moment ausgesucht. Wieder hatte keiner etwas gesehen, und die Welt machte einfach weiter wie vorher.
Diesmal war sie Fallan aber uneingeschränkt dankbar für sein Einschreiten.
»Sie haben mich also wirklich angelogen«, sagte sie. »Sie hatten ja doch ’ne Pistole dabei. Bitte ignorieren Sie es in Zukunft, wenn ich je wieder so was Dummes von Ihnen verlange.«
»Nein«, widersprach er. »Ich hab gesagt, ich lüg Sie nicht an, und Sie haben nicht weiter gefragt. Ich habe keine Pistole dabei.«
Er griff in die Jackentasche und zückte sein Handy.
»Was? Gibt’s dafür jetzt auch schon ’ne Pistolen-App?«
»Ich bin davon ausgegangen, dass ich es eher mit einem Arschloch als mit einem guten Schützen zu tun habe. Die hatten Mittwoch schon Schiss, und ich dachte mir, dass es wohl einer von denen war. Hab so getan, als hätte ich ’ne Pistole, und er hat sofort den Schwanz eingezogen.«
Jasmine zitterte immer noch, als Fallan mit ihr in den Kartenladen ging, und sie wusste nicht, ob es gut oder schlecht war, dass sie sich diesmal schneller erholte als noch vor drei Tagen. Sie hatte nicht das Gefühl, dass ihr schlecht wurde, aber diesmal war sie ja auch nicht zusätzlich im Landrover herumgeschleudert worden. Vielleicht war es damit doch wie mit allem anderen: Wie beim ersten Mal ist es nie wieder.
Sie verließ den Laden vor ihm, ging um die Ecke und sah sich die Einschusslöcher an, während er die Karten und Lupen bezahlte. Zum Glück hatte der Corsa keine Alarmanlage gehabt, er hatte nämlich die Windschutzscheibe und beide Fenster auf der Fahrerseite verloren.
Sie fuhr mit
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