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Wer schlafende Hunde weckt

Wer schlafende Hunde weckt

Titel: Wer schlafende Hunde weckt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Brookmyre
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den Fingern über die Hauswand. Sie musste sich versichern, dass es tatsächlich passiert war, denn schon verdrängte irgendein unbewusster Selbstschutzmechanismus die Ereignisse der vergangenen Minuten in die Unwirklichkeit. Sie spürte die Ränder der Löcher, die tief in den Stein reichten, der über ein Jahrhundert Glasgower Winter überstanden hatte, und es lief ihr kalt den Rücken hinunter, wenn sie daran dachte, in was sich die Kugeln auch hätten bohren können.
    »Was für eine Pistole hatte er?«, fragte sie Fallan, als er mitden Papprollen unter dem Arm um die Ecke kam. »Sie hat sich so komisch angehört, leiser als letztes Mal, als wäre das Geräusch aus nächster Nähe gekommen.«
    »Ich hab die Waffe nicht genau erkennen können, aber er hatte auf jeden Fall einen Schalldämpfer drauf.«
    »Wie im Film? Was hab ich denn dann gehört?«
    »Den Überschallknall, wenn die Kugeln die Schallmauer durchbrechen. Er hat sich eine ruhige Ecke ausgesucht, einen Schalldämpfer auf die Automatik geschraubt, wusste aber nicht, dass er auch Unterschallmunition brauchte. Kannte aber immerhin seine Grenzen; oder hatte genug von mir gehört, um sich nicht auf ’ne Schießerei mit mir einzulassen.«
    »Fahren konnte er aber besser als Sie, das müssen Sie zugeben.«
    »Hab ich auch gemerkt«, erwiderte Fallan und schaute sich nachdenklich die Bremsspuren von der Kehrtwende des Vectras an.
    »Okay«, fing Jasmine an, »da Sie ja diesmal keine Pistole verheimlichen müssen, können wir doch auch die Polizei rufen, oder?«
    »Bitte?«, erwiderte er. »Sie haben doch gesehen, wie der gefahren ist.«
    »Ja, und?«
    »Das war die Polizei.«

Die goldene Regel
    »Ich muss mich bei Ihnen entschuldigen«, sagte Fallan, als Jasmine den Civic mit geübter Routine und richtigem Genuss präzise rückwärts in einer kleinen Lücke direkt vor ihrem Haus geparkt hatte. Die beruhigende Wirkung des Gewohnten änderte zwar nichts an ihrer Lage, aber zur Zeit war sie dankbar für jedes bisschen Entspannung.
    Das war das Erste, was Fallan sagte, nachdem er beim Einsteigen erklärt hatte, dass sie genauso gut zu ihr fahren konnten wie ins Hotel, weil sie dort auch nicht mehr sicher waren. Wenn McLeod sie hatte finden können, konnte jeder Polizist sie finden.
    Er hatte allerdings nicht erklärt, woher er wusste, dass wirklich Polizisten hinter ihnen her waren, außer der Tatsache, dass ihr Möchtegern-Killer ein ziemlich guter Fahrer war.
    Jasmine hatte keine Einwände. Das Hotel hatte ihren Eindruck verstärkt, dass ihr Leben in der Warteschleife hing, dass sie aus der Alltagsrealität gerissen und in einen Schwebezustand versetzt worden war, auf den keine klare Zukunft folgte. Sie wollte wieder unter ihrer eigenen Dusche stehen, auch wenn die immer nur zwischen zu heiß und zu kalt wechselte; sie wollte ihr Haar und ihren Körper in ihre eigenen Handtücher wickeln, auch wenn die in den Monaten ohne Heizung nie richtig trocken wurden. Sie wollte eine Baked Potato aus der Mikrowelle essen und abgestandenes Wasser aus der billigen Zwei-Liter-Sprudelflasche auf ihrem Küchentisch trinken.
    »Wofür?«, fragte sie, schaltete den Motor ab und steckte den Schlüssel ein.
    »Na ja, vielleicht nicht entschuldigen, eher erklären. Die wollen doch nicht Sie umbringen, sondern mich. Sie sind wohl nur der Bonus.«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Aus demselben Grund, aus dem Jim meine Akte aufgeschlagen hatte und mich besuchen wollte. Die Leute, die dahinterstecken, kannten meinen Vater, und sie und Jim glaubten, dass ich sie mit der Sache in Verbindung setzen kann.«
    »Und diese ›Sache‹ ist eine der offenen Rechnungen, von denen Sie gesprochen haben?«
    »Ja, und was für eine. Als der Typ seine Hundertachtzig-Grad-Wende gefahren ist, ist mir wieder eingefallen, was ich McLeod gesagt hatte. Es sollte eigentlich erst nur Sarkasmus sein, so was rutscht mir bei scheinheiligen Bullen schnell mal raus, aber ich glaube, ich hatte wirklich recht: Wir haben’s mit der größten Gang von Glasgow zu tun.«
    Fallan nahm die Wärmebilder, die Messtischblätter und die Lupen und folgte Jasmine in die Sackgasse. Als sie bei sich im dritten Stock den Schlüssel ins Loch steckte, wurde ihr klar, wie sehr die Welt aus dem Gleichgewicht geraten war, seit sie das letzte Mal über diese Schwelle getreten war, dass sie jetzt vor der Polizei floh und einen geständigen Mörder hereinbat.
    Fallan ging direkt in die Küche, rollte die Bilder auf dem Tisch aus und

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