Wer schlafende Hunde weckt
hatte Drew aber recht gehabt: Sie schlief gerade deshalb nicht ein, weil sie einen klaren Kopf hatte. Einen sehr klaren.
Sie hatte sich vieles eingebildet und sich vom Versuch ablenken lassen, Verbindungen zwischen Phantomelementen herzustellen. Zu ihrer Verteidigung war aber zu sagen, dass sie ein bisschen in diese Richtung gestoßen worden war.
Ihre Wut und ihr lange brennender Hass hatten sie auf Fallan gebracht. Er wäre für sie der Angreifer gewesen, egal, aus was für einem Auto er geschossen hätte. Ihre Kombinationsfähigkeit, ihre Urteilskraft und ihre grundlegendsten Polizisteninstinkte waren von Emotionen ausgeschaltet worden, und jetzt verstand sie, dass es einfach eine völlig dämliche Vorstellung war, ein Profikiller würde sich mehr oder weniger ausweisen, bevor er ein ganzes Magazin aus ein paar Metern Entfernung in ein Auto pumpte, ohne einen der Insassen zu treffen.
Zwar hatte niemand sie umbringen wollen, dafür wollte man sie auf die falsche Fährte locken. Irgendwer wollte, dass sie Fallan jagte, um den es dabei aber gar nicht ging. Sie sollte nur von ihrem eigentlichen Ziel abgelenkt werden.
Es musste jemand sein, der wusste, dass Fallan wieder aufgetaucht war. Außerdem wusste er von dem roten Mittneunziger-Civic und hatte die Ressourcen, innerhalb kürzester Zeit einen ähnlichen zu finden und zu klauen. Außerdem war er informiert, dass sie Fallan getroffen hatte, dass sie wusste, was für einen Wagen Fallan fuhr und wozu er fähig war.
Sunderlands kurze, vorsichtige Warnung hallte ihr wie ein Echo durch den Kopf.
»Wir.«
Wer hatte ihr überhaupt zum ersten Mal von Glen Fallan erzählt und ihr damit ein fremdes Teil ins Puzzle geworfen, sodass nichts mehr zusammenpasste? Jemand mit vielen geheimen Kontakten in der organisierten Kriminalität dieser Stadt, jemand, der weise alte Köpfe wie Fletcher zum Grübeln brachte, wie weit man sich um das Vertrauen der Gegenseite bemühen durfte, bevor man sich auf ihre Seite ziehen ließ.
Detective Superintendent Douglas Abercorn.
Die Stimme der Angst
Jasmine drehte sich im Bett um und sah nach der Uhr. Die grünen LED s zeigten zwanzig nach zwei an. Sie hatte Herzklopfen, war hellwach und angespannt, und nur an diesem plötzlichen Schrecken merkte sie, dass sie geschlafen hatte. Lange konnte es nicht gewesen sein, und vielleicht hatte sie sich beim Wegdämmern in die Ereignisse vor dem Kartenladen zurückversetzt gefühlt.
Es kam ihr vor, als hätte sie nur einen Sekundenbruchteil davon geträumt, bevor sie aufwachte; die Erinnerungen an die äußerlichen Geräusche und Bilder waren nur noch ein fernes Echo. Die inneren Empfindungen hatten sie aufschrecken lassen, als hätten ihr Gehirn und ihr Körper die Gefühle und Reaktionen abgearbeitet, die in dem Moment zunächst von anderen Überlebensmechanismen verdrängt worden waren.
Vorher hatte sie wach gelegen, sich frustriert hin und her gewälzt, aber obwohl sie todmüde war und endlich wieder in ihrem eigenen Bett lag, wollte der Schlaf einfach nicht kommen. Das lag sicher teilweise an dem Angriff, bei dem so viele mentale und physische Systeme überladen worden waren und sich danach erst langsam wieder einpendelten. Ihr Gehirn zum Beispiel war einfach nicht zum Schlafen bereit, aber auch nicht imstande, die Dinge zu analysieren, die auf es eingeprasselt waren. Das Ganze war einfach zu viel gewesen,und sie war zu müde – und ihr Gehirn zu überdreht –, um sich auf ein einzelnes Problem zu konzentrieren. Stattdessen sprang sie chaotisch von einem zum nächsten. Als würde jemand im Zimmer hektisch die Radiosender wechseln.
Besonders zwei Fragen forderten Antworten, die sie nicht kannte.
Die eine hatte damit zu tun, dass Jim, wie auch sie und Fallan, geglaubt hatte, die Wahrheit liege in einem flachen Grab irgendwo in den Campsie Hills, wo die Ramsays zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen waren und etwas beobachtet hatten, was niemand hätte sehen dürfen. Doch selbst wenn Jim die Leichen gefunden hätte – was bewies das schon? Deswegen hätte er doch nicht umgebracht werden müssen?
Ein DNA – Abgleich mit Anne Ramsay könnte die Leichen identifizieren und beweisen, dass sie ermordet und nicht untergetaucht waren, aber das gab noch keinen Hinweis auf den Täter. Selbst wenn Fallan Verbindungen zwischen seinem Vater und Polizisten aufzeigen konnte, die heute noch im Dienst waren, hieß das nicht, dass sie etwas mit der Sache zu tun hatten.
Irgendetwas fehlte, aber das
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