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Wer schlafende Hunde weckt

Wer schlafende Hunde weckt

Titel: Wer schlafende Hunde weckt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Brookmyre
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Street. Catherine erinnerte das an die seltene Situation, wenn er vor Gericht eine unerwartete Frage oder Antwort gehört hatte, und sich abwandte, um sich eine Reaktion zurechtzulegen.
    Er hielt den Kopf gesenkt und stützte sich auf der Fensterbank ab, wodurch seine Frackschöße leicht hochrutschten. Catherine hatte geglaubt, er trage so etwas nur als Kostüm vor Gericht und war überrascht, als sie ihn auch in seiner Kanzlei so antraf, wie einen Schauspieler, der nie seine Rolle verlässt. Er hatte schon ab Mitte zwanzig diesen Look des gesetzten Herren gepflegt, ein zeitloser, vielleicht etwas altmodischer Mann. Er wirkte dabei weder abgehoben noch allzu exzentrisch; nur ein bisschen eigen. Er existierte abseits jeder Mode als Intellektueller, der an solche Oberflächlichkeiten weder Zeit noch Hirnschmalz verschwenden wollte. Oder aber er hatte mit viel Hirnschmalz herausgefunden, dass er weise und imposant wirkte, wenn er genau diesen Eindruck erweckte.
    Wenn er sich wieder umdrehte, erkannte man meistens an der erwartungsvollen Energie in seinen Zügen, dass er mit seiner Reaktion zufrieden war, auch wenn er sich dafür bekümmert, wütend oder verwirrt stellen musste. Als er sich diesmal umdrehte, wirkte er einfach nur alt.

    Alt und auf einmal sehr, sehr müde.
    »Es geht um seinen Sohn«, hatte Catherine Wilsons Sekretärin erklärt. Sie kam sich ein bisschen schlecht vor, weil sie wusste, was er sicher dachte, wenn die Polizei sich mit diesen Worten bei ihm ankündigte. Es musste aber sein. Sie mussten ihn sofort zu fassen bekommen, ohne dass er vorher telefonieren konnte. Jim Sharp hatte einen Termin mit ihm ausgemacht und war nie wieder aufgetaucht.
    Ihr Gewissen wurde durch den Gedanken etwas beruhigt, dass es ihm leichter fallen würde, mit seiner zweitgrößten Angst fertigzuwerden, wenn er erst die größte durchlebte.
    Doch auch mit Nummer zwei kam er anscheinend nicht ohne Weiteres klar.
    Er wirkte erschrocken, als fünf Leute in sein Büro marschierten, statt der erwarteten zwei, aber auch das musste sein. Catherine wollte ihn sofort wissen lassen, dass er die Angelegenheit auch mit all seiner Macht, seinem Geschick und seinen Verbindungen nicht kontrollieren konnte.
    Fallan und das Mädchen hatten ihr auch eindeutig klargemacht, dass sie nicht bereit waren, die Sache auszusitzen, und wenn man bedachte, was sie aufgedeckt hatten, war es wohl ihr gutes Recht, mit hineinzukommen.
    Wilson lehnte sich ans Fensterbrett, als reichten der gute Meter bis zu seinem Mahagonischreibtisch und dessen eigene Tiefe nicht als Distanz zu den Eindringlingen in seinem Büro.
    »Ich wusste es damals nicht«, sagte er.
    »Das haben wir schon oft gehört«, erwiderte Fallan.
    »Wirklich, ich hatte keine Ahnung.« Er hob eine Hand vors Gesicht und stützte die Stirn auf drei schlanke Finger. »Ich war jahrelang krank vor Angst, dass dieser Tag kommen würde, aber mit der Zeit habe ich immer seltener daran gedacht, bis ich irgendwann fast glaubte, er würde nie kommen. Ich hatte eine vage Vorstellung, was ich ihm sagen würde, aber jetzt fehlt mir selbst die.«

    Wilson stiegen die Tränen in die blutunterlaufenen Augen.
    »Er ist immer noch mein Sohn«, sagte er, und sein Gesicht verzerrte sich zu einem Schluchzen.
    Catherine gab ihm einen Augenblick Zeit, widerstand aber dem Drang, ihn verständnisvoll anzuschauen.
    »Wir müssen wissen, was passiert ist«, forderte sie.
    Wilson sammelte sich wieder und wischte sich mit einem weißen Taschentuch das Gesicht ab.
    »Ich hab’s für Wilma getan«, erklärte er. »Meine verstorbene Frau. Ein Kind, das war ihr größter Wunsch. Wenn man jung ist, hat man nie Angst davor, keine zu kriegen; man geht einfach davon aus, dass es irgendwann passiert. Was betreibt man nicht für einen Aufwand, damit es nicht passiert …«
    Wehmütig schüttelte er den Kopf.
    »Bei ihr ist es einfach nicht passiert. Bei uns. Sie hatte mehrere Fehlgeburten, und die Ärzte sagten, mit jedem Mal werde es unwahrscheinlicher, dass sie das nächste behalten werde. Für sie selbst wurde es auch gefährlich, sagten sie. Sie bekam Depressionen und zog sich immer mehr zurück. Wir ließen uns natürlich für eine Adoption registrieren, aber wir standen auf einer langen Warteliste.«
    Er schloss die Augen und wandte den Kopf ab, als wollte er eine Erinnerung verdrängen, oder vielleicht auch etwas, was in der Zukunft lag.
    »Fletcher McDade war ein Freund von mir. Wir haben zusammen Golf gespielt. Ich

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