Wer schlafende Hunde weckt
verziehen.
Vielleicht kann man eine gewisse Ironie darin finden, dass er sich von mir distanzierte, sich sogar öffentlich von mir lossagte. Aber deshalb tut es nicht weniger weh. In den letzten Jahren verstehen wir uns sogar deutlich besser, seit seine Mutter … seit Wilma tot ist. Wahrscheinlich hat er mittlerweile selbst verstanden, dass unser Metier nicht ganz so moralisch schwarz-weiß ist, wie er immer geglaubt hat.«
»Warum haben die Polizisten das Baby nicht einfach bei jemandem vor der Tür oder bei einem Krankenhaus abgesetzt?«, fragte Jasmine.
»Weil es dann eine Ermittlung gegeben hätte«, erwiderte Catherine. »Irgendwer hätte Verbindungen gezogen. Stephen Ramsays Eltern hätten das Kind sicher identifizieren können. So ist Charlie Ramsay einfach aus der Welt verschwunden.«
»Bis jetzt«, sagte Jasmine, und Wilson zuckte zusammen. »Bis mein Onkel die Wahrheit herausgefunden hat. Was ist mit Jim passiert?«
»Ich dachte, ich wäre noch mal davongekommen«, erwiderte Wilson. »Ich hatte vor ein paar Wochen den Artikel gelesen, dass Anne Ramsay einen Detektiv angeheuert hatte. Bald darauf rief mich dieser Jim Sharp an und wollte einen Termin, damit wir uns unterhalten konnten. Ich wusste, worum es ging, und erwartete natürlich das Schlimmste. Ich habe Fletcher angerufen. Er sagte, ich solle mir keine Gedanken machen – der Detektiv sei ein Polizist im Ruhestand, und er würde das schon mit ihm regeln. Das hat er wohl auch, denn ich habe nie wieder von Sharp gehört.«
»Wir auch nicht«, sagte Jasmine düster.
Vom alten Schlag
»Können wir Wilson vertrauen, dass er nichts unternimmt?«, fragte Jasmine ängstlich. »Vielleicht telefoniert er in diesem Augenblick mit denen.«
Sie hatten sich in einen Privatraum eines nahen Bar-Restaurants an der St. Vincent Street zurückgezogen, den Abercorn besorgt hatte. Jasmine war schon mal zum Mittagessen dort gewesen und hatte mit Freunden das Semesterende gefeiert. Sie hatte viel mehr ausgegeben, als sie sich leisten konnte, weil sie die Rechnung geteilt hatten und Charlotte Queen dabei gewesen war. Jasmine wäre mit Pasta und Birnen-Cider zufrieden gewesen, aber Charlotte hatte Austern und Champagner bestellt, weil sie nicht daran dachte, dass nicht jeder einen Millionär als Vater hat; dass nicht mal jeder überhaupt einen Vater hat.
Jasmine wusste kaum etwas über ihren, nur dass er tot war. Ihre Mutter hatte nie über ihn gesprochen und sich nie auf das Thema eingelassen. Das meiste, was sie aus sich herauskitzeln ließ, war, dass er einen Riesenfehler gemacht hatte, den sie selbst nur mit Glück überstanden hatte, und dass Jasmine ihre Rettung gewesen war. »Mein Geschenk Gottes«, hatte ihre Mutter sie immer genannt, obwohl sie gar nicht religiös war.
Jasmine hatte versucht, sich aus den seltenen und vagen Andeutungen ein Gesamtbild zusammenzubasteln – halblaute Bemerkungen von Verwandten, versehentliche Offenbarungen ihrer Mutter, wenn sie nicht aufgepasst hatte oder später, als sie unter Schmerzmitteln stand, doch bei Letzteren war sie nicht nur enthemmter, sondern auch unzuverlässiger. Jasmine wusste nur, dass ihre Mutter in einem schlechten Stadtteil von Glasgow aufgewachsen war, und sich mit gefährlichen Leuten eingelassen hatte, weil sie glaubte, dass die sie vor anderen gefährlichen Leuten beschützen würden. Als sie schwanger war, war sie nach Edinburgh gezogen, weil sie mit Jasmine neu anfangen wollte. Wie Jasmine war sie auf die Schauspielschule gegangen, hatte sich dann aber mit einem Leben als Schauspiellehrerin und natürlich Mutter abgefunden.
»Ich vertraue ihm«, sagte Catherine. »Er kann das Ganze nicht unter den Teppich kehren, aber wenn er es so lange zurückhalten will, dass er sich vorher noch in Ruhe mit seinem Sohn zusammensetzen kann, dann kooperiert er.«
Catherine wollte sie beruhigen, aber Jasmine war instinktiv misstrauisch. Die Polizistin war ihr gegenüber immer relativ höflich gewesen, aber ihre konstante unterschwellige Feindseligkeit Fallan gegenüber knisterte förmlich in der Luft, und Jasmine hatte das Gefühl, dass auch sie ein bisschen davon abbekam.
»Dass er kooperiert, wäre übertrieben«, sagte Abercorn. »Er macht, was wir ihm sagen, aber er hilft uns nur, soweit er sich damit selbst entlastet.«
»Klar«, stimmte Catherine zu. »Aber wenigstens bleibt er neutral. Ein Gutes hat’s auch, dass er ein wichtiger Zeuge ist – immerhin verteidigt er die Schweine nicht, wenn wir
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