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Wer schön sein will, muss sterben

Wer schön sein will, muss sterben

Titel: Wer schön sein will, muss sterben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michele Jaffe
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unvermittelt: »Meine Mom ist in Livingston aufgewachsen, in demselben Haus, in dem ich jetzt mit meinen Großeltern lebe.« Ich hatte keine Ahnung, wo das hinführte. Ging es um ihren Pool?
    Sie fuhr fort. »Als meine Mom achtzehn war, wurde sie schwanger. Ihre Eltern, also eigentlich Maman, stellten ihr ein Ultimatum. Entweder zu sagen, wer der Vater des Babys sei, oder auszuziehen. Meine Mutter und Maman sind sich sehr ähnlich, beide stur, und keine von beiden gab nach. Als sie im sechsten Monat schwanger war, zog meine Mutter nach Lynx Arches, Arizona.«
    »Klingt exotisch.«
    »Die Natur dort ist wirklich schön. Tiefblauer Himmel, rote Berge. Die meisten Leute leben in Trailern, deshalb lässt es architektonisch einiges zu wünschen übrig.«
    »Warum wollte deine Mutter nach Arizona?«
    »Ich schätze, weil es ganz anders war als Livingston. Außerdem wollte sie nicht, dass ihre Eltern sie fanden. Deshalb benutzte sie einen falschen Namen, was bedeutete, dass sie keine Zeugnisse vorzuweisen hatte und keine besonders tollen Jobs bekam. Kellnern, Sekretariatsarbeit. Haushaltswarengeschäfte.« Sie starrte aus dem Panoramafenster auf den Berg, der im Sonnenuntergang rosaorange leuchtete. »Eine Zeitlang hat sie bei einem Schlosser gearbeitet, aber am besten war es, als sie in einer Bäckerei gearbeitet hat.« Ihr Blick wanderte zu mir und sie lächelte reuevoll. »So habe ich gelernt, Kuchen zu verzieren. Wusstest du, dass ich das kann? Ich bin ein Superkonditor.«
    »Das merk ich mir für meinen nächsten Geburtstag.«
    »Tu das. Meine Mutter war der Meinung, jeder wäre seines Glückes Schmied und sollte deshalb über viele Fertigkeiten verfügen. Sie hat mir auch Nähen beigebracht und fast alles zu reparieren. Und dann im Frühling, als ich elf war, brachte sie mir Schwimmen bei.«
    Sie stocherte in einem der Mini-Marshmallows in ihrer heißen Schokolade, bis er sich auflöste. »Immer dienstags und donnerstags nach der Schule trafen wir uns beim Trailer und gingen ins Schwimmbad. Es war ein Ritual, als Ausgleich dafür, dass sie zur Arbeit musste, bevor ich aufstand, denn sie musste immer sehr früh in der Bäckerei sein. Ich fuhr an den Tagen immer besonders schnell auf meinem Fahrrad nach Hause, denn ich liebte die Schwimmstunden mit ihr.«
    Sie saß regungslos da, so still hatte ich sie noch nie gesehen. Im Licht der sinkenden Sonne leuchtete ihr strohblondes Haar, und sie schien golden zu schimmern. »An einem Dienstag hatte ich einen platten Reifen, deshalb musste ich mein Fahrrad den Weg nach Hause schieben und kam ein wenig später als sonst. Als ich es anschloss, roch ich etwas Seltsames. Ich blickte auf und sah Rauch unter der Haustür hervorkommen. Der Trailer brannte.«
    Sie rieb mit ihren Fingern am eingerollten Rand des Pappbechers entlang, bis sich dieser löste. »Ich benutzte meinen Pullover, um die Tür aufzuziehen und Flammen schlugen mir ins Gesicht. Ich rief nach meiner Mom, aber sie antwortete nicht. Also rannte ich durch die Flammen ins Haus. So bekam ich die Narben.«
    Sie blickte starr geradeaus. »Ich kam zu spät. Das … das Feuer hatte sich schon ausgebreitet und meine Mutter war … sie sagten, sie starb an Rauchvergiftung, die Brandwunden auf ihrem Körper hat sie nicht gespürt … sie hatte keine Chance … nie …«
    Sie atmete scharf ein und spannte den Kiefer an. Ihre Augen waren auf die Holzdecke der Ski-Lodge gerichtet, ihre Hände zu Fäusten geballt, die Fingerknöchel ganz weiß von der Anstrengung, nicht zu weinen.
    Ich legte die Arme um sie, wobei ich mir ihrer Stärke und meiner Schwäche bewusst war. Sie war ehrlich und offen mir gegenüber gewesen, hatte mir alles erzählt. Ich war nicht in der Lage gewesen, dasselbe zu tun. Ich hatte einen Teil der Geschichte weggelassen. Den schlimmsten. Ich öffnete den Mund, um es zu erzählen, aber es blieb mir im Hals stecken.
    Als ihre Atmung wieder normal wurde, entzog sie sich mir und sah mich an. »Es tut mir leid.«
    »Warum? Ich fühle mich geehrt, dass du es mir erzählt hast.«
    Sie nickte und umfasste mit den Händen den übel zugerichteten Pappbecher mit der heißen Schokolade, betrachtete ihn, als enthielte er die Antworten auf alle Geheimnisse des Lebens. »Ich vermisse sie«, sagte sie. »Aber ich zeige es nicht, wenn Papo und Maman dabei sind. Ich frage mich, wie mein Leben verlaufen wäre, wenn das nicht geschehen wäre. Wenn ich früher nach Hause gekommen wäre. Wenn ich sie hätte retten

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