Wer Schuld War
Manie, Dinge mit begeistertem Furor anzufangen und dann mehr schlecht als recht zu Ende
zu bringen, entsetzlich aufgeregt, und auch Barb pfuscht auf die unerträglichste Weise. Es reicht ja schon, zusehen zu müssen,
wenn sie ein Tablett mit Tellern belädt und dann das Besteck vergisst oder Tassen oder Gläseroder Honig oder Tomaten oder Käse, und dann sich selbst zu beobachten, wie die eigene Stimmung zuverlässig eintrübt angesichts
dieser ewigen Schusseligkeit und Unaufmerksamkeit gegenüber den täglichen Dingen des Lebens.
Pfusch! Es lasse sich leider nicht anders ausdrücken, sagte er bei solchen Gelegenheiten, und er hörte sich selbst dabei zu,
registrierte durchaus, wie scharf und leise seine Stimme wurde und wie infam seine Argumentation, wenn er sich wieder einmal
sehenden Auges in die Todesspirale ihrer Dispute stürzte. Während Barb behauptete, er hätte keinen Blick für das, was sie
in dieser Wohnung tue, und immer nur kritisiere, was sie unterlasse, und er konterte, dass ihre Leistungen jetzt nicht zur
Debatte stünden, dass sie also nicht das Thema wechseln solle, und sie dann sagte:
Welches Thema, bitte?
Ich glaube, ich habe etwas nicht mitbekommen. Wovon reden wir eigentlich?
Er legte dann los, befeuert von einer Wut, die sich zwar zugegebenermaßen weit über Barb und ihre Fehler hinaus bewegte, aber
trotzdem immer wieder davon ausgelöst wurde. Weswegen die Schuldfrage seiner Ansicht nach eindeutig zu ihren Ungunsten ausging,
ein sehr wichtiges Kapitel in seiner Geschichte: die Auffassung, dass Barbara die Chance gehabt hat, es besser zu machen,
aber diese Chance immer wieder ausgeschlagen hat.
Ich hasse es, dass ich dich immer wieder um dieselben Sachen bitten muss.
Siehst du, was ich gerade mache, Manuel? Ich räume die Spülmaschine ein. Wie immer übrigens. Ich mache Ordnung! Siehst du
das?
Darum geht es nicht.
Doch, dir geht es um Ordnung. Ich mache Ordnung. Jetzt und hier mache ich Ordnung. Wo ist also das Problem, Manu? Was willst
du?
Dass du aufhörst, deine Handtasche auf den Herd zu stellen, weil sie dort nichts verloren hat. Dass du ein für alle Mal begreifst,
dass deine Post in dein Zimmer gehört und nicht auf den Esstisch. Dass du selber merkst, wie viele Haare deine Katzen verlieren,
wenn sie auf dem Schoß gekrault werden, und dass fliegende Katzenhaare besonders unappetitlich sind, wenn wir gerade frühstücken.
Du vergisst auch Dinge in der Küche.
So? Welche denn?
Die Spülmaschine einzuräumen. Zum Beispiel.
Blödsinn.
Das Frühstück kommt, und er verzehrt es ohne großen Appetit, obwohl die Brötchen frisch duften und die Erdbeermarmelade mit
echten Früchten bestückt ist. Auch am Kaffee, heiß und kräftig, gibt es nichts zu beanstanden, aber er nimmt trotzdem nur
ein paar Schlucke, und dann kündigt der Pilot schon über Lautsprecher an, dass sie nun ihre Reiseflughöhe verlassen und in
fünfunddreißig Minuten in der Hauptstadt Doha landen würden. Das Wetter sei schön, sagt der Pilot auf Englisch, es habe einundneunzig
Grad Fahrenheit, und Manuel weiß nicht mehr genau, wie viel das in Celsius ist, aber ihm ist sehr wohl klar, dass einundneunzig
Grad richtig heiß ist.
Davor hat er keine Angst, er mag Hitze.
Er hatte sich in Reiseführern und über das Internet informiert, aber im Grunde weiß er immer noch nicht viel über Katar, ein
Land, in dem er, wenn alles gut geht, mindestens ein Jahr seines Lebens verbringen wird. Immerhin hat er erfahren, dass Katar
klein ist, dreimal kleiner als Belgien, und dass der Lebensstandard in den letzten Jahrzehnten in schwindelerregende Höhen
gestiegen ist, dass Katar vom Öl lebt und nur davon, dass es am westlichenRand des Arabischen Golfs liegt und an Saudi-Arabien, die Arabischen Emirate und im Norden an Bahrain grenzt, dass sich die
Hauptstadt Doha, wo er wohnen und arbeiten wird, entlang einer Bucht erstreckt, dass es keinen Alkohol gibt, aber Restaurants
und Luxushotels, die, so der Reiseführer, ihresgleichen suchen.
Der Flughafen ist sehr hell und angenehm klimatisiert. Um ihn herum reden und lachen Männer in knöchellangen weißen Gewändern
wie eine Schar riesiger exotischer Möwen; Manuel ist der einzige Mann in westlicher Kleidung. Er merkt, dass er auffällt,
auch wenn ihn niemand offen anstarrt. Er dagegen kann gar nicht aufhören zu gucken, so fremd kommt ihm alles vor und so fern;
verwundert starrt er einer tief verschleierten Frau in
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