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Wer Schuld War

Titel: Wer Schuld War Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Bernuth
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geholfen, sie hat es seiner Meinung nach nicht wirklich
     ernsthaft versucht, und er findet, dass es sein gutes Recht ist, ihr das übel zu nehmen. Andererseits muss er zugeben, dass
     er selbst nicht sicher war, wieihre Hilfe im konkreten Fall hätte aussehen sollen. Tatsache ist ja eben auch, dass die Mechanik einer Beziehung kompliziert
     ist, und dass man dies immer erst dann begreift, wenn eins der vielen kleinen Rädchen blockiert und die ganze Maschinerie
     lahmlegt.
    Manuel beendet seine Rasur. Sein Gesicht sieht im weichen Licht voller aus als noch vor ein paar Monaten; er hat ein paar
     Kilo zugenommen, nicht viele, vielleicht drei oder vier, aber es reicht seiner Ansicht nach, um ihn älter und gesetzter aussehen
     zu lassen. Er beschließt, das Mittagessen ausfallen zu lassen und dies als ersten Schritt in sein neues Leben als erfolgreicher
     Single zu betrachten.
    Er zieht sich ein frisches Hemd an, nimmt die Plastikkarte aus der Halterung neben der Tür, woraufhin alle Lichter ausgehen
     und nur noch die Klimaanlage dezent weitersummt. Dann verlässt er das Zimmer.
     
    Ein Taxi fährt ihn zum Suq Waqif, ein für arabische Verhältnisse kleiner Markt, den er rasch durchquert hat. Der Suq, stellt
     er enttäuscht fest, ist von orientalischem Charme etwa so durchdrungen wie ein Baumarkt in der deutschen Provinz: Das Angebot
     beschränkt sich weitgehend auf günstige Importware aus Asien, vieles davon ist technischer Natur wie Computerbildschirme,
     DV D-Rekorder , Digitalkameras, Mobiltelefone. Arabisches Kunsthandwerk ist ebenso wenig zu finden wie einheimische Händler. Das Geschäft
     machen Pakistani, Bangladeschi und Inder.
    Es sind nur wenige Touristen und auch nur wenige Einheimische unterwegs. Vielleicht ist es einfach noch zu früh. Schließlich
     lässt er sich zum Hotel zurückbringen, ist danach immer noch müde, trotz der zwei Stunden Schlaf, wartet in seinem geräumigen,
     klimatisierten Hotelzimmer, das sich in jeder Metropole überall auf der Welt befindenkönnte, und fühlt sich genauso, nämlich wie jemand, der überall sein könnte und nirgends sein muss, weil es keine Rolle spielt,
     weil ihn hier oder dort niemand braucht oder vermisst.
    Er öffnet die Minibar und findet Coca-Cola-, Schweppes- und Tomatensaft-Fläschchen. Er nimmt sich ein Tonicwater und eine
     Tüte mit fettigen Erdnüssen, legt sich aufs Bett, verzehrt beides und starrt danach an die Decke, bis er auf die Idee kommt,
     den Fernseher einzuschalten, wo der Sender Al-Dschasira einen Beitrag über Bagdad bringt. Jedenfalls vermutet Manuel, dass
     es sich um Bagdad handelt, weil er die Bilder zur Genüge aus dem deutschen Fernsehen kennt, das schwarze rauchende Autowrack,
     die Scherben auf der Straße, daneben eine Lache aus bräunlichem Blut, Leute, die durcheinanderschreien, alles unterlegt mit
     arabischen Schriftzeichen.
    Er schaltet wieder aus, der Kommentar in kehligem Arabisch dröhnt ihm noch in den Ohren, und er sieht auf die Digitaluhr neben
     seinem Bett, deren Ziffern bläulich schimmern, und stellt fest, dass es halb fünf ist. Am liebsten möchte er bis in alle Ewigkeit
     auf diesem Bett liegen, und gleichzeitig ist ihm langweilig, dass er aus der Haut fahren könnte. Ein Gefühl, das ihn immer
     heimsucht, wenn etwas Neues passiert, das er nicht einschätzen kann. Er bereitet sich wochenlang akribisch darauf vor, fühlt
     sich euphorisch angesichts der Tatsache, alles geplant und bedacht zu haben, ist es endlich so weit, stellt er fest, dass
     alles ganz anders ist, als er es sich vorgestellt hat, was ihn immer wieder von Neuem verwirrt und ärgert.
    Und so springt er aus dem Bett, verlässt zum zweiten Mal das Zimmer, geht mit schnellen, vom Teppich gedämpften Schritten
     zum Lift und fährt vom zehnten Stock ins Erdgeschoss. Der Lift ist von allen vier Seiten verspiegelt, es gibt eine Perspektive,
     aus der ihm sein Gesichtnicht seitenverkehrt erscheint, sondern genau so, wie der Rest der Welt ihn sieht, ein Gesicht, das ihm fremd ist und das
     er nicht mag. Also wendet er den Blick ab, hin zu seinem vertrauten Spiegelbild, und schon öffnet sich die Tür mit einem leisen
     Klingelton. Er sieht auf die Uhr, zwanzig vor fünf, er hat noch Zeit für einen Drink an der Bar, und während er die riesige
     Lobby betritt, zieht er sein Telefon aus der Hosentasche und wählt auswendig Ginas Nummer, die er vorsichtshalber nicht eingespeichert
     hat, erreicht aber nur ihre Mailbox. Er spricht keine Nachricht

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