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Wer Schuld War

Titel: Wer Schuld War Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Bernuth
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ihren Blick gesehen. Sie hat in diesem Moment beschlossen, mich zu verlassen. Sie wusste es vielleicht nicht, aber
     ich habe es gesehen. Und nichts getan.«
    »Es ist gut, das zu erkennen.«
    »Ich erkenne es, aber ich kann es nicht ändern. Ich kann mich nicht ändern.«
    »Was willst du denn ändern?«
    »Ich   …« Er dachte nach. Aber es kam nichts.
    »Dir fällt nichts ein?«, fragte Senta nach einer Weile.
    »Doch, ich   …«
    »Lass dir Zeit.«
    Aber er konnte es nicht sagen, zerfloss stattdessen in Tränen, während gleichzeitig etwas in ihm neugierig war, wie Senta
     mit dieser professionellen Herausforderung umgehen würde. Gut, soweit er es beurteilen konnte, denn sie lächelte, als würde
     sie nichts daran überraschen, ging vor Paul in die Hocke, bis sie auf gleicher Höhe mit ihm war, stand ohne irgendwelche Anzeichen
     von Anstrengung auf ihren Zehenspitzen, eine Ausgeburt an Kraft, trotz ihres Alters, eine machtvolle Schönheit, trotz ihrer
     Falten, ihres Übergewichts und ihrer fleckigen Haut, eine Göttin. »Ich sehe Einsamkeit«, sagte sie, schien ihn mit ihren hellblauen
     Augen zu durchdringen, oder vielleicht durchdrang auch er diesen unvergesslichen Blick, stürzte sich hinein wie in einen kühlen,
     klaren See, »aber es ist eine selbst gewählte Einsamkeit, das darfst du nicht vergessen, und daran ist nichts Tragisches.«
    »Ich will nicht allein sein. Auf gar keinen Fall. Ich will Liebe.«
    »Aber die Einsamkeit ist dein Weg, Paul. Du bist nicht geschaffen für die Liebe, du willst zu viel und gibst nicht genug.
     Es gibt andere Lebensformen als Beziehungen. Hör auf, dir Sorgen zu machen. Hör auf, etwas erzwingen zu wollen.«
    Abends kam er nach Hause, vollkommen erledigt und um mehrere hundert Euro ärmer, und versuchte, Pilar zu erreichen, aber wie
     so oft nahm sie nicht ab.
    Er ist ein einsamer Mann in mittleren Jahren, mit einem Alkoholproblem und zu hohem Blutdruck, beides ein Erbe seines Vaters,
     der in jungen Jahren an einem Schlaganfall gestorben ist. Paul, wieder in der Gegenwart angelangt, sieht Frau Fresel zu, die
     sich aus der Kleenex-Box bedient, um ihre verheulten Augen sorgfältig trocken zu tupfen und sich ausgiebig zu schnäuzen. Frau
     Fresel, fast vierzig Jahre alt, eine Frau, die ihn nicht reizen könnte,mit der er nicht einmal gern befreundet wäre, und die trotzdem etwas geschafft hat, das ihm noch nie gelungen ist, nämlich
     seit neun Jahren ununterbrochen mit ein und demselben Menschen zusammen zu sein. Er wirft unauffällig einen Blick in seine
     Unterlagen, sieht sich bestätigt, und fühlt sich dann noch schlechter, suhlt sich geradezu im Gefühl, versagt zu haben. Frau
     Fresel hat mit Herrn Fresel ein Haus gebaut und lebt mit ihm darin, sie haben das Haus gemeinsam eingerichtet, vermutlich
     so, wie Paul nie ein Haus einrichten würde. Natürlich ist diese Ehe in jeglicher Hinsicht alles andere als ideal, Flickwerk,
     eine riesige Enttäuschung für beide Beteiligten, zu einem großen Teil auf Angst vor Veränderungen, Lügen, Illusionen beruhend.
     Aber haltbar. Oder?
    Wie ihr Mann das wohl sieht?
    Während sich Frau Fresel entschuldigt, um ihren derangierten Zustand wieder in Ordnung zu bringen, denkt Paul, den Kopf auf
     die Rückenlehne seines Sessels gelegt, über Pilar und sich nach. Warum kann er nicht leben wie Frau Fresel und ihr Mann, wenigstens
     ansatzweise? So oft wollte er Pilar bitten, mit ihm zusammenzuleben. Doch dann hat wieder diese hartnäckige innere Stimme
     auf ihn eingeredet, der Dämon in seinem Kopf, der ihm mit beschwörender Eindringlichkeit zuflüsterte, dass da ein anstrengender
     Sohn sei, der ihn bereits als Vaterersatz zu akzeptieren beginne, dass eine Entscheidung für Pilar und Philipp schon aus diesem
     einen Grund irreversibel wäre, wenn er nicht irgendwann vor sich selbst als Charakterschwein dastehen will. Dass es vielleicht
     irgendwo, irgendwann noch etwas Besseres für ihn geben könnte, eine jüngere Frau ohne Anhang, sanfter und weniger anstrengend
     als Pilar, und dann brachte Paul das, was er sagen wollte, nicht mehr heraus, wechselte das Thema und dachte, alles sei vergessen.
    Aber Pilar hatte nichts vergessen, gar nichts, kein einziges seiner ungeschickten Ausweichmanöver war ihr entgangen, das hat
     er bei ihrer Trennung im Sommer erkannt, als sie ihn freundlich und unnachgiebig darauf hinwies, wie lange sie sich zurückgehalten
     hatte, um ihn nicht unter Druck zu setzen, wie lange kein einziges

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