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Wer Schuld War

Titel: Wer Schuld War Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Bernuth
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ja   …«
    Sie gibt zu, dass ihr Mann noch nichts von dieser Idee weiß, und soweit Paul die Situation beurteilen kann, ist das die gute
     Nachricht, denn Herr und Frau Fresel verdienen zwar beide überdurchschnittlich gut und stehen, wie es Frau Fresel gern ausdrückt,
     in der Öffentlichkeit hervorragend da, doch mit ihrer eigenen Beziehung sind sie völlig überfordert. Trotzdem würde Ehepaar
     Fresel niemals das Wort Trennung in den Mund nehmen. Stattdessen arbeitet sich Frau Fresel seit einer halben Ewigkeit durch
     sämtliche Therapieangebote, bis sie bei Paul landete.
    »Wünschen Sie sich denn wirklich ein Kind?«, fragt Paul, um Zeit zu gewinnen.
    »Ich bin fast vierzig. Ich habe nicht mehr viel Zeit.«
    »Das ist keine Antwort auf meine Frage.«
    Sie sieht ihn an, als hätte er Chinesisch gesprochen.
    »Es ist ja auch nicht der einzige Grund«, sagt sie.
    »Welcher Grund?«
    »Mein Alter. Das ist nicht der einzige Grund.«
    »Sondern?«
    »Die Gesellschaft braucht Kinder. Das liest man überall.«
    »Ich verstehe.«
    »Und ich habe sehr viel Liebe zu geben.«
    Ein rührendes Postulat angesichts ihres steinernen Gesichts, und so sagt Paul so behutsam wie möglich, dass er daran überhaupt
     nicht zweifle, und fügt hinzu: »Aber vielleicht sollten Sie doch erst einmal mit Ihrem Mann darüber sprechen. Wir können auch
     gern einen gemeinsamen Termin vereinbaren.«
    »Ich dachte, Sie bieten keine Paartherapien an.«
    Paul seufzte. »In Ihrem Fall würde ich eine Ausnahme machen.«
    Frau Fresel sieht ihn an, als würde sie gleich in Tränen ausbrechen. Automatisch schiebt Paul den Kleenex-Behälter in ihre
     Nähe, denn Frau Fresel ist entweder unnahbar oder sie weint. Diesmal weint sie, während Paul geduldig und mit freundlich-neutralem
     Gesichtsausdruck wartet, bis sie damit fertig ist. Jahrelange Erfahrungen haben ihn an der kathartischen Qualität des Weinens
     mehr und mehr zweifeln lassen, allzu oft hat er festgestellt, dass ausgiebiges Weinen den Status quo eher zementiert, als
     innere Blockaden aufzubrechen und tief greifende seelische Veränderungen einzuleiten, und so lehnt er sich zurück und faltet
     die Hände über dem Bauch, eine Haltung, die Klienten Vertrauen einflößen soll.
    Frau Fresel schluchzt ausgiebig und scheint sich dabei sehr wohlzufühlen, und Pauls Gedanken gehen auf Wanderschaft, bewegen
     sich zurück zum vergangenen Samstag, den er auf einer jener Fortbildungen verbracht hat, die in seinem Beruf mittlerweile
     obligatorisch sind, wenn man nicht seine Kassenzulassung verlieren will. Das Seminar zum Thema systemische Paartherapie wurde
     von einer Sechzigjährigen geleitet, einer großen, breitschultrigen Frau mit dickem, steingrauen Haar, das ihr bis zum Po reichte.
     Und obwohl der Tag kühl und regnerisch war, trug Senta, wie sie sich nannte, ein bauchfreies T-Shirt und weder Schuhe noch Strümpfe, legte dicke Bergsteigerseile auf den Boden und bezeichnete sie als die Lebenslinien der Anwesenden.
     Anschließend deutete sie auf eine Zimmerecke, in der auf mehreren Haufen Teddybären, Kissen in Herzform, Krokodile, Trommelstäbe
     und anderes Spielzeug lagen, und erklärte, dass sich jeder der Anwesenden damit eindecken sollte, um seine eigene Lebenslinie
     zu bestücken.Es ging um Beziehungen, wie sie angefangen, sich entwickelt und schließlich geendet hatten. Es ging um Verhaltensmuster, die
     sich als kontraproduktiv erwiesen hatten und trotzdem, jedes Mal neu maskiert, den Keim der Zerstörung säten. Und plötzlich
     war Paul mittendrin in der Übung, fand sie nicht mehr lächerlich, sondern immens wichtig, begann sogar hemmungslos zu weinen,
     als er seine Sonnenbrille aus dem Etui nahm und auf das Bergsteigerseil legte, als Symbol für das Scheitern seiner jüngsten
     großen Liebe. Und dann war Senta zu ihm gekommen, hatte ihn gefragt, was es damit auf sich hatte, und er hatte ihr kaum antworten
     können. Sie wiederholte ihre Frage, sichtlich befriedigt von seiner extremen Reaktion, und schließlich brach es aus ihm heraus,
     fühlte er sich hilflos wie ein Kind, das sich bei seiner Mutter ausheulte, und ließ sich gleichzeitig fallen in diese Gefühlsmischung
     aus Peinlichkeit und Erleichterung, war nicht mehr Paul, der Therapeut, sondern Paul, der nicht mehr weiterwusste, sagte:
     »Ich habe meiner Freundin eine Sonnenbrille geschenkt.«
    »Und?«
    »Ich habe ihr eine Sonnenbrille geschenkt, anstatt sie zu bitten, mich zu heiraten.«
    »Und?«
    »Ich habe

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