Wer Schuld War
verbindliches Wort von ihm gekommen war, und dass sie nicht
gedenke, den Rest ihres Lebens in einer Warteschleife zu verbringen. Diese Sätze, vorgebracht mit Pilars typischer Direktheit,
hatten ihm endlich die Zunge gelöst, endlich glaubte er, erkannt zu haben, dass sie tatsächlich die einzige Frau war, die
er lieben konnte, mit der er alles teilen konnte, was das Leben noch für sie und ihn bereithielt, die guten und die lästigen
Zeiten, Alltag und Euphorie, und vielleicht sogar noch ein gemeinsames Kind. All das brach in einer minutenlangen Suada plötzlich
aus ihm heraus, und Pilar sah ihn immer nur an, mit dieser Trauer in ihren wunderschönen braunen Augen, die ihn umfassten
wie eine Umarmung.
Und dann, als er fertig war, erschöpft, aber überzeugt davon, das Unwiderrufliche noch einmal abgewendet zu haben, dann sagte
sie: »Es ist zu spät, Paul.«
»Gibt es einen Anderen?«
Sie ging wortlos und ließ ihn betäubt zurück.
Immerhin sehen sie sich weiterhin ab und zu, obwohl sie sich unaufhaltsam voneinander entfernen, ungeachtet Pauls Bemühungen,
die Beziehung wieder aufleben zu lassen. Und da ihre Treffen in letzter Zeit selten geworden waren, unerträglich selten, hat
er wieder einmal einen Versuch gestartet, sie für morgen Abend zum Essen eingeladen, woraufhin sie sich lange bitten ließ,
aber schließlich doch so etwas Ähnliches wie eine Zusage gegeben hat. Sie will ihm morgen endgültig seinen Schlüssel vorbeibringen,aber nicht lange bleiben. Er hingegen wird trotzdem für sie beide kochen, hoffen, dass er sie überreden kann, zum Essen zu
bleiben. Für den Fall des Falles würde er in der Mousse au Chocolat noch schnell einen Ring verstecken. Natürlich weiß er,
dass das alles ein wenig kindisch wirken könnte, aber es soll sein letzter Versuch sein, sie zurückzugewinnen, und dabei muss
er alles geben und darf nicht davor zurückschrecken, sich eventuell lächerlich zu machen.
Und sollte Pilar ihm tatsächlich noch eine letzte Chance geben, dann wird man sehen, wie sich seine innere Stimme verhält,
sein teuflischster Verführer und schlimmster Feind.
Frau Fresel kommt hübsch hergerichtet aus dem Bad zurück, und fünf Minuten später ist ihre Stunde zu Pauls Erleichterung vorbei.
Trotzdem gibt er ihr einen Termin zusammen mit ihrem Mann für übermorgen Abend, denn er muss noch Bergsteigerseile besorgen
und Plüschtiere. Dafür wird er erst morgen Nachmittag Zeit haben, zwischen Telefonsprechstunde und Gutachtenschreiben. Im
Zuge des neuen Sparkurses verlangt die Kasse immer ausführlichere Gutachten, und es wird immer mühsamer, die Sachbearbeiter
von der Notwendigkeit einer Therapie zu überzeugen, während gleichzeitig die Zahl der seelisch Kranken ständig anzusteigen
scheint.
Bei solchen Gelegenheiten denkt Paul manchmal daran, den Beruf zu wechseln und Musiker zu werden, dann weiß er wieder, dass
das Hirngespinste sind, ein alter, dummer Jugendtraum, der sich einmal erfüllt hat, aber nie wieder möglich sein wird. Trotzdem
träumt er weiter, denn wissen heißt ja nicht, dass man etwas fühlt, und nicht fühlen heißt nicht wissen, und manchmal ist
er dankbar für seine ausgeprägte Feigheit, die sich bei ihm als gesunder Menschenverstandtarnt, und ihn immerhin davon abhält, Dummheiten zu begehen, wie zum Beispiel jene junge Kellnerin anzusprechen, die ihn gestern
Mittag freundlich angelächelt hat. Ganz sicher hatte sie sich nicht für ihn als Mann interessiert, und vielleicht will er
auch gar nicht, dass sie es tut. Denn ist es nicht so, dass er sie verachten würde, wenn sie sich tatsächlich mit ihm einließe,
würde er nicht das Kalkül wahrnehmen, und würde sie ihm dann noch gefallen? Findet er sie nicht gerade jetzt, so, wie sie
ohne ihn ist, wunderbar: jung, unabhängig, frei in all ihren Entscheidungen, glücklich, weil sie noch so viel vor sich hat?
Ja, ja, bestätigt er sich selbst, und wünscht sich sofort danach in aller Inkonsequenz das Unmögliche, nämlich wieder jung
zu sein, mit der Chance, etwas Neues zu beginnen, denn im Grunde genommen ist er ja nie über sein zwanzigstes Lebensjahr hinausgekommen,
bleibt er im Herzen immer Student, ein ewiger Frischling aus der Provinz, der sich leidenschaftlich ins Großstadtleben stürzt,
mit Sehnsüchten, die einfach nicht erwachsen werden wollen.
Er hat die Kellnerin auch heute noch nicht angesprochen, aber das ist keine Garantie für morgen und
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