Wer sich in Gefahr begibt - Granger, A: Wer sich in Gefahr begibt - A Rare Interest in Corpses
erklärt hatte, keinerlei Interesse für Madeleine Hexham gehegt zu haben, doch dieses geringe Interesse hatte gereicht, um zu bemerken, welche Literatur sie las. Und nun interessierte er sich für das, was ich las.
Mir war unbehaglich zumute angesichts dieses Gedankenganges. Doch falls ich, wie Frank galant erklärt hatte, intelligent genug war, um mir einen Reim auf gewisse Dinge zu machen, dann war ich schon lange intelligent genug, um zu wissen, dass diese Begabung eine beunruhigende war. Wie viel vorzüglicher musste es da doch sein, sich allein mit den Lustschlössern zufriedenzugeben und die ›für Menschen endlos tiefen Abgründe‹ vollkommen zu ignorieren. Doch das konnte ich nicht.
KAPITEL NEUN
Ben Ross
Ich habe mir angewöhnt, am Ende eines jeden Tages eine detaillierte Aufstellung der Beobachtungen niederzuschreiben, die ich im Laufe einer Ermittlung während meiner Arbeitszeit gemacht habe. Nennen Sie es ein Tagebuch, wenn Sie so wollen. Kollegen, die diese Angewohnheit bemerkt haben, machen sich darüber lustig und nennen mich pedantisch. »Was denn, Ben? Hältst du dich etwa immer noch für einen Schreiber?«
Doch ich finde es nützlich, in der Lage zu sein zurückzublicken und nicht nur zu sehen, wo und wann ich mit einem Individuum gesprochen habe, sondern auch, was mir zu diesem Zeitpunkt aufgefallen und was vielleicht später im Wirrwarr der Ereignisse wieder in Vergessenheit geraten ist. Diese Marotte hat sich bei mehr als nur einer Gelegenheit als nützlich erwiesen.
Ich nehme an, dass es niemanden interessiert außer mich selbst, und ich kann mir den Spott gut vorstellen, wenn ich vor Gericht mein kleines Notizbuch hervorziehe. Andererseits bin ich fest davon überzeugt, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis alle Ermittlungsbeamten, die mit der Aufklärung von Verbrechen betraut sind, das Gleiche tun wie ich schon heute. Wenn wir uns nicht organisiert und wissenschaftlich mit unseren Fällen befassen, wird die Vebrechensaufklärung niemals voranschreiten, und uns wird für alle Zeiten der Ruf von stümperhaften Dorfpolizisten anhaften. Mehr noch, jeder einigermaßen gerissene Anwalt wird imstande sein, uns im Zeugenstand zu verwirren und zum Narren zu machen.
Im Sommer nehme ich meine Notizen im Allgemeinen mit nach Hause und schreibe dort in Ruhe alles nieder. An dunklen Abenden bleibe ich im Büro im Scotland Yard und nutze den Vorteil der Gasbeleuchtung, indem ich den Gestank und das Risiko des Spotts meiner Kollegen ignoriere.
Zurückblickend auf meine Eintragung vom Donnerstag, dem Tag nachdem ich die Nachricht von Madeleine Hexhams Ermordung in den Haushalt der Parrys gebracht hatte, sah ich nun, dass ich hauptsächlich damit beschäftigt gewesen war, Fragen zu stellen und Gegenfragen abzuwehren. Zwischendurch dachte ich viel an Lizzie Martin und insbesondere an jenen Teil unserer Unterhaltung, in dem ich ihr meine Verbindung zu ihrem Vater enthüllt hatte. Ich hatte ihm gegenüber dankbar klingen wollen, denn das war ich auch zutiefst. Ich hatte ihr sagen wollen, wie sehr ich mich freute, sie zu sehen. Doch ich fürchtete, dass ich wie ein wichtigtuerischer Besserwisser geklungen hatte und dass sie mich für einen Dummkopf hielt, insbesondere im Vergleich zu einem schillernden Burschen wie diesem Carterton.
Ich war auf dem besten Weg, eine Abneigung gegen Carterton zu entwickeln, aus Gründen, die nicht das Geringste mit meinen Ermittlungen zu tun hatten. Ich ermahnte mich in Gedanken (nicht in meinen Notizen!), dieser Versuchung zu widerstehen. Carterton war ohne Zweifel ein exzellenter Mann, der seine Tante und seine Arbeit im Namen Ihrer Majestät und ihrer Angelegenheiten in fremden Ländern liebte. Ich wünschte mir sehr, dass sie ihn wegschickten, um die Interessen Großbritanniens irgendwo in Südamerika, Japan oder auf einer einsamen Insel mitten im Pazifik zu wahren, wo er Lizzie aus dem Weg und sie aus seinen Augen war.
Doch zurück zu meinen Notizen. Ich hatte Männer damit beauftragt, nach Agar Town zurückzukehren und sämtliche Arbeiter dort zu befragen. Das erwies sich als langsames und undankbares Unterfangen. Eine Reihe von Arbeitern hatte die Baustelle bereits verlassen. Sie wollten nicht von der Polizei vernommen werden und dass ihre Namen in irgendeinem offiziellen Bericht auftauchten. Der ein oder andere hatte vielleicht bereits ein geringfügiges Vergehen in seinen Akten stehen. Andere gehörten möglicherweise zu jener dunklen Bruderschaft, die
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