Wer sich in Gefahr begibt - Granger, A: Wer sich in Gefahr begibt - A Rare Interest in Corpses
geschafft, ohne dass Miss Simms was davon mitbekommen hat, oder Wilkins oder Ellis.«
»Dann musst du Miss Hexham gemocht haben, wenn du ihr so geholfen und ihr Geheimnis für dich behalten hast.«
»Ja, ich mochte sie!«, erklärte Bessie mit unerwartetem Nachdruck. »Sie war eine nette Lady! Ich hatte gehofft, dass sie jemanden zum Heiraten gefunden hätte, als sie weggegangen ist. Ich war am Boden zerstört, als ich erfuhr, dass sie tot ist.«
»Erzähl mir mehr«, ermunterte ich sie. »Erzähl mir von Miss Hexhams Plan, das Haus von Mrs Parry zu verlassen, um zu heiraten.«
Sie murmelte erneut vor sich hin, doch diesmal verstand ich nur die Worte »… kann ich nicht …«
»Warum denn nicht, Bessie? Du würdest sie nicht mehr verraten. Sie ist tot. Du würdest nur die Erinnerung an sie verraten, wenn du dich weigerst, bei der Suche nach dem Mann zu helfen, der Madeleine Hexham das angetan hat.«
Bessie blickte auf, und ich sah, dass ihr kleines Gesicht wütend verzerrt war. »Ich hoffe, sie kriegen ihn! Ich hoffe, sie hängen ihn auf!« Sie legte sich die Hände um den dünnen Hals und machte eine nach oben und seitwärts gerichtete Bewegung, um anschließend den Kopf schlaff hin und her rollen zu lassen in der realistisch wirkenden Imitation eines Mannes am Galgen. Ihr Hut fiel ihr in den Nacken und wurde von den Bändern dort festgehalten.
»Nun denn«, ermunterte ich sie. »Wenn du möchtest, dass Miss Hexham Gerechtigkeit widerfährt, dann erzähl mir, was du über jenen Tag weißt, an dem sie aus dem Haus verschwunden ist.«
Ich war sicher, dass Bessie noch immer etwas auf der Seele lag. Sie zog den Hut wieder zurecht und schwieg.
»Ich bin die Tochter eines Arztes, Bessie«, fuhr ich fort. »Ich komme aus einer kleinen Stadt im Norden. Ich wusste sehr genau, was die Leute machten und worüber getuschelt wurde. Miss Hexham erwartete ein Kind, nicht wahr?«
»Es war allmählich zu sehen …«, sagte Bessie abrupt. »Ihre Kleider wurden enger und enger in der Taille, und ihr Gesicht war ein wenig aufgedunsen. Wenn ich in ihr Zimmer ging – jetzt Ihr Zimmer, Miss –, dann stand sie oft dort mit dem Kopf über der Schale und erbrach ihren gesamten Mageninhalt. Sie würgte und würgte und weinte dabei. Sie tat mir so leid, Miss. Ich versuchte, ihr zu helfen, indem ich das Erbrochene wegschaffte, wie ich Ihnen bereits erzählt habe. Doch ich wusste, dass sie zu Mrs Parry gehen und ihr alles gestehen musste, und zwar bald. Außerdem waren da noch die anderen. Wilkins und Ellis. Sie sind furchtbare Plappermäuler und sehr geschickt darin, ihre Nasen in die Angelegenheiten anderer zu stecken. Und nichts, absolut überhaupt nichts, gelangt nach draußen, ohne dass Mrs Simms es erfährt.«
Bessie und ich spazierten noch ein wenig weiter. Ich schwieg. Bessie hatte beschlossen, sich mir anzuvertrauen, und sie würde es mit ihren eigenen Worten und in ihrem eigenen Tempo tun.
»Ich hatte Angst vor dem, was sie vielleicht tun würde«, sagte Bessie in diesem Augenblick fast unhörbar leise. Sie warf einen schlauen Blick unter der Hutkrempe hervor in meine Richtung. »Wenn Sie die Tochter eines Arztes sind, dann wissen Sie sicherlich, was ich meine, oder nicht?«
»Ich denke, ich weiß es«, sagte ich leise.
Diese armen Dinger. Sie machten alberne Fehler, und dann wurde mein Vater hinzugerufen, um ihnen das Leben zu retten. Sie tranken alle möglichen Sorten von Likören, von denen sie hofften, dass sie eine Fehlgeburt einleiteten. Im Allgemeinen vergeblich. Manchmal gingen sie zu einer ›weisen Frau‹, irgendeiner alten Vettel, die ihnen entweder Kräuterheilmittel verkaufte oder viel, viel Schlimmeres mit ihnen anstellte. Und dann starben die jungen Mütter oft am Blutverlust oder wegen ihrer angegriffenen Gesundheit.
Was die Familien anging, so enterbten sie häufig das Mädchen und waren dennoch schnell und erfindungsreich, wenn es darum ging, die Wahrheit zu verbergen. Manch ein Kind wuchs auf in dem Glauben, dass seine natürliche Mutter eine ›Schwester‹ oder ›Tante‹ war, und erfuhr die wirklichen Verwandtschaftsverhältnisse erst als Erwachsener – und gelegentlich nicht einmal dann. Mary Newling hatte mir von derartigen Fällen in unserer Stadt erzählt, als ich selbst erwachsen war und wir gemeinsam in der Küche gesessen und Gemüse geputzt hatten. Sie hatte frei mit mir über diese Dinge gesprochen, in dem Wissen, dass ich sie mit der gleichen Vertraulichkeit behandeln würde
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