Wer sich nicht fügen will
bei Verdacht auf Gewaltverbrechen war das eine reine Formsache.
Persönliche Dinge wie Fotos oder Visitenkarten von anderen Personen enthielt die Geldbörse nicht, auch keine Kassenbons oder Briefmarken. Der Kalender hatte kein Adressenverzeichnis. Ich schaltete Lulus Handy ein, kam aber nur bis zum PIN-Code. Ich versuchte es der Reihe nach mit Lulus Geburtsdatum in verschiedenen Kombinationen, dann mit einer Verbindung aus Haus- und Wohnungsnummer der Frivolen Nachtigall, aber ohne Erfolg. Natürlich würden wir vom Telefonanbieter eine Liste der Verbindungen bekommen, aber ich hätte gern gewusst, welche Telefonnummern Lulu auf ihrem Handy gespeichert hatte.
Der Kosmetikbeutel enthielt teure Markenprodukte, die ich nur aus der Werbung kannte. Wimpernbürste und Lidschattenquast waren nach dem Gebrauch gesäubert worden. Die Konturenstifte waren frisch gespitzt; der für die Lippen war grellrot, der für die Augen dunkelviolett. Außerdem enthielt der Beutel Parfüm, eine Minidose Haarspray und zweimal Rouge. Meiner Schätzung nach war der Inhalt des Kosmetikbeutels mehr als zweihundert Euro wert. Koivu schüttelte ungläubig den Kopf, als ich ihm die Summe nannte.
»Warum lasst ihr Frauen euch so abzocken? Ob Lulu ihre Kosmetika von der Steuer absetzen konnte?«
»Das kann Puupponen feststellen. Ich …« Weiter kam ich nicht, denn Ursula stürmte herein. Sie unterließ es gelegentlich, anzuklopfen oder auf den Summer zu drücken, wahrscheinlich in der Hoffnung, mich zu ertappen, wie ich Salmiak in mich hineinstopfte oder private Telefongespräche führte.
»Wow!«, sagte sie, als sie Lulus Kosmetika auf meinem Tisch erblickte. Sie meinte, ich hätte die Summe zu niedrig geschätzt: Allein die Grundierung koste fast hundert Euro. Vor einigen Jahren hatte ich Ursula verdächtigt, ihre teure Markenkleidung zu finanzieren, indem sie Ermittlungsergebnisse an die Presse weitergab, doch dafür hatten sich keine Beweise gefunden. Offenbar erhielt sie auch Geschenke von reichen Liebhabern. Sie machte kein Geheimnis daraus, dass eine ganze Reihe verheirateter Männer aus Angst vor Bloßstellung nach ihrer Pfeife tanzten. Vielleicht war es das, was Mauri Hytönen meinte, als er sagte, für Sex müsse man immer zahlen.
»Die Autopsie ist um drei, bis dahin kann ich Vernehmungen führen. Ich habe Iines Iivonen aufgespürt, die Frau, derentwegen man Lulu den Kuppeleiprozess angehängt hat. Um mit ihr zu sprechen, müssten wir allerdings nach Hämeenlinna fahren. Da sitzt sie seit Oktober eine Haftstrafe wegen schwerer Körperverletzung ab. Sie weiß also womöglich nichts über Lulus Aktivitäten in den letzten Monaten.«
»Wir bitten die Kollegen in Hämeenlinna um Amtshilfe.«
Ursula reckte sich und streichelte das weiche Fell am Mantelkragen. »Ein schickes Teil. Du hast keinen Pelzmantel, oder? Natürlich nicht, dagegen würde ja dein Mann Einspruch erheben.«
Eine Antwort blieb mir erspart, denn wieder kam jemand herein. Diesmal war es unsere Sekretärin Eija mit dem Durchsuchungsbefehl. Koivu rief sofort bei der Spurensicherung an. Ich packte Lulus Sachen, bis auf Handy und Schlüsselbund, wieder in den Plastikbeutel, den wir auf dem Weg zur Tiefgarage in der Asservatenkammer ablieferten. Koivu fuhr, während ich die Befragungen organisierte. Puupponen und Ursula sollten gegen Mittag mit Tero Sulonen anfangen, für Koivu und mich vereinbarte ich einen Termin mit Nordström um drei Uhr. Bei Riitta Saarnio ging niemand ans Telefon. Ich rief ihren Hausarzt an, dessen Nummer ich am Abend zuvor erhalten hatte.
»Sie ist zu Hause, eine Krankenpflegerin ist bei ihr. Ich werde sie heute Abend untersuchen, aber heute kommt eine Vernehmung auf keinen Fall infrage. Sie steht immer noch unter Schock. Melden sie sich morgen wieder.«
Damit musste ich mich zufrieden geben. Auch bei Ilari Länsimies hatte ich kein Glück, sein Telefon war besetzt. Ich hinterließ eine Nachricht auf dem Anrufbeantworter. Inzwischen waren wir in Helsinki, Koivu kurvte durch den Stadtteil Punavuori und suchte vergeblich nach einem wenigstens halbwegs legalen Parkplatz. Wir mussten den Wagen einige Straßen weiter abstellen. Als wir zu Fuß die eisglatte Iso Roobertinkatu entlangschlitterten, erinnerte ich mich an einen Fall, der mich vor dreizehn Jahren beschäftigt hatte.
»Koivu, erinnerst du dich an das Haus da drüben?«, fragte ich und zeigte auf ein nach dem Krieg erbautes Etagenhaus neben der Einfahrt zum Punavuoritunnel. Koivu
Weitere Kostenlose Bücher