Wer sich nicht fügen will
nickte.
»Da war die Wohnung von Juhani Peltonen, die wir durchsucht haben. Später hat Antti die Wohnung übernommen, und du hast auch eine Weile dort gewohnt. Ich war gerade von der Polizeischule gekommen und total begeistert, weil ich auf Anhieb einen Job bei der Helsinkier Kripo bekam, der Traum jedes Polizeischülers. Aber dann bin ich Esel wegen Anita nach Joensuu gegangen! Wegen dieses Weibsstücks, das mich dann sitzen gelassen hat! Na, jetzt ist ja alles in Ordnung …«
Ich nahm ihn kurz in die Arme. Worte waren unnötig, Koivu wusste, wie die Geste gemeint war. Wir bogen in die Punavuorenkatu ein. Die Frivole Nachtigall befand sich in der obersten Etage eines Hauses, das sechs Treppenaufgänge besaß, alle vom Hof aus zugänglich. Von der Straße aus war nicht zu erkennen, dass in dem Gebäude ein Hostessenservice betrieben wurde. Ich überlegte, was das Gesetz dazu sagte, dass Räume, die als Wohnung ausgewiesen waren, zu gewerblichen Zwecken genutzt wurden. Wahrscheinlich war es legal, schließlich gab es auch Frisör- und Massagesalons in Privatwohnungen.
Ich verschmähte den Aufzug und lief die Treppe hoch. Vom Jogging am Morgen waren meine Oberschenkel müde, ich war zu ungeduldig gewesen, um ordentliche Dehnungsübungen zu machen, und steckte sportliche Anstrengungen nicht mehr so leicht weg wie noch vor zehn Jahren. Koivu folgte mir schnaufend. Die Spurensicherung war noch nicht eingetroffen. Wir zogen schon im Treppenhaus Schutzkleidung über. An der Tür stand »Nachtigall – Nightingale«, der Zusatz »frivol« fehlte, vermutlich, um die Nachbarn nicht zu provozieren. In diesem Stock gab es nur eine weitere Tür, hinter der laut Namensschild der Zentralverband der Fahrradwerkstätten seinen Sitz hatte. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass es einen solchen Verband gab.
Lulus Tür hatte außer dem normalen Abloy-Schloss ein Sicherheitsschloss, für das ich mühelos den Schlüssel fand. Mit dem normalen Schloss hatte ich erst beim dritten Versuch Erfolg. Gerade in dem Moment piepte mein Handy. Hakkarainen teilte per SMS mit, sie seien in der Nebenstraße und suchten einen Parkplatz. Ich riet ihm, auf den Hof zu fahren, falls der Kleintransporter der Kriminaltechnik durch das Tor passte.
Als ich die Tür öffnete, fielen mir Zeitungen und ein Haufen Werbesendungen entgegen. Im Flur war es stockfinster. Koivu tastete nach dem Lichtschalter. Als er ihn endlich gefunden hatte, leuchteten an der Decke und an den Wänden Dutzende roter Sterne auf. Die Beleuchtung ließ Koivus Gesicht glühen, als hätte er Fieber. Er suchte nach einem weiteren Schalter, und nun ging eine normale gelbliche Deckenlampe an.
Auf der linken Seite des Flurs waren zwei Türen, auf der rechten eine. Alle waren geschlossen. Am Ende des Flurs befand sich ein Bogengewölbe, das von roten Vinylvorhängen eingerahmt war. Als hätten wir uns abgesprochen, steuerten wir beide darauf zu.
»So sieht es also bei der frivolen Nachtigall aus«, seufzte Koivu, als wir einen Raum betraten, der so groß war wie eine normale Zweizimmerwohnung. Lulu hatte die Zwischenwände zwischen Wohnzimmer, Esszimmer und einem kleinen Bücherzimmer entfernen lassen, sodass sich die Frivole Nachtigall über die gesamte Breite des Hauses erstreckte. Vor den Fenstern hingen ebenfalls rote Vorhänge, hinter denen sich schwarze Jalousien verbargen. Kein Tageslicht fiel herein. Auch hier gab es rote Spotlampen, deren Licht sich stufenlos regeln ließ.
Die Wand links vom Bogengewölbe nahmen Schränke ein. Auf dem breiten Bett mit den hohen Pfosten hätten sich mühelos vier Personen tummeln können. An den Pfosten waren Metallringe befestigt. Neben einem niedrigen Diwan in der Mitte des Raums stand ein Gerät, das an eine gepolsterte Turnbank erinnerte und ebenfalls mit Metallringen ausgestattet war. An der Stirnwand rechts befand sich eine riesige schwarze Badewanne, zu der man zwei Stufen hinaufstieg. Hinter der Wanne entdeckte ich eine von den Vorhängen halb verborgene Sprossenwand. An der Decke waren Haken angebracht, die ganz offensichtlich nicht für Kristallleuchter bestimmt waren.
Es klingelte. Hakkarainen und Mikkola waren eingetroffen, mit ihnen schob sich auch der Fotograf Kerminen in die Wohnung.
»Wonach suchen wir?«, fragte Hakkarainen und setzte die Schutzhaube auf, mit der er wie der alternde Star einer Chirurgenserie aussah.
»Nach Lulu Nightingale. Ihr ganzes Leben müsste hier zu finden sein, Arbeitsplatz und Wohnung in einem.
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