Wer sich nicht fügen will
Was sagt ihr dazu, Jungs?« Als ich das Gesicht des jungen Mikkola sah, konnte ich mir ein ironisches Lächeln nicht verkneifen. In zwanzig Jahren würde es diesen Gesichtsausdruck nicht mehr geben, dann würde Mikkola glauben, schon alles gesehen zu haben. Aber man mochte noch so abgebrüht sein, irgendwann stand man doch wieder vor einem unfassbar rohen Verbrechen und musste erkennen, dass man längst noch nicht alles gesehen hatte, dass der Mensch zu Schlimmerem fähig war, als man sich vorstellen konnte.
Ich probierte die Schlüssel an den Schranktüren aus. Schon beim zweiten Versuch ging die erste Tür auf. Dahinter hingen Kleidungsstücke, die den Bedarf eines Pornomagazins für ein ganzes Jahr gedeckt hätten. Vinyl, Gummi, Leder, eine Gasmaske und eine echte Schwesterntracht, diverse Korsetts und Strumpfbänder. Dazu Strampelhose und Babymütze in Erwachsenengröße – wer stellte so etwas her?
Der nächste Schrank enthielt Schuhe, darunter Gummistiefel und gelbe Holzschuhe. Im dritten Schrank befanden sich Perücken und Masken sowie Windeln für Erwachsene und eine große Säuglingsflasche aus Plastik. Der vierte Schrank mit seinen akkurat geordneten Regalen erinnerte an eine Segelbedarfs- oder Eisenwarenhandlung: Seile, Ketten, Schlösser, fünf verschiedene Handschellen und ein Paar Fußfesseln. Im letzten Schrank befanden sich Peitschen und Zangen, außerdem ein herausziehbarer Wagen, auf dem ein CD-Player und ein kleiner Fernseher mit Videorecorder standen. Alles war ordentlich aufgeräumt, jeder Gegenstand war leicht zu finden. Dennoch herrschte eine merkwürdige Atmosphäre, als hallten die in diesem Raum ausgeteilten Schläge und Küsse von den Wänden wider, als hingen die Ausdünstungen unzähliger Körper in der Luft.
»Soll ich die Sachen fotografieren?«, fragte Kerminen. Ich nickte, obwohl ich davon überzeugt war, dass die Abzüge auf geheimnisvolle Weise ihren Weg in die Pausenräume der anderen Dezernate finden würden.
»Eine kluge Frau, diese Lulu«, sagte Hakkarainen plötzlich.
»Guck mal, Kallio. Hier sind mindestens drei Alarmknöpfe. Sie konnte wirklich jederzeit ihren Leibwächter erreichen.«
Ich überließ es den anderen, die Welt der frivolen Nachtigall zu bestaunen, und ging zu der einzelnen Tür im Flur. Sie ließ sich ebenfalls mit einem der Abloy-Schlüssel öffnen. Nun trat ich in eine völlig andere Welt ein. Das Zimmer war ganz in Braun und Eierschalenfarbe gehalten und kühl und asketisch eingerichtet. Bett, Schreibtisch, Sessel und Fernseher. An einer Seite erstreckte sich eine Schrankwand über die ganze Länge des Zimmers. Ich öffnete die Schränke der Reihe nach. Der erste war bis oben mit Büchern gefüllt. Im zweiten hingen normale Kleider, Jeans, Kostüme und Blusen, der dritte enthielt Unterwäsche und Schuhe. Durch eine Tür in der angrenzenden Wand betrat ich das Badezimmer. Der große Spiegel war wie in einer Theatergarderobe von Lampen eingefasst, das Regal daneben mit Schminkutensilien und Kosmetika gefüllt. Im Arzneischrank befanden sich die gleichen Medikamente wie in Lulus Handtasche. Antibabypillen waren nicht zu sehen – Kondome dagegen reichlich vorhanden. Ich beschloss, Zimmer und Bad genauer zu untersuchen, nachdem ich mir den Rest der Wohnung angesehen hatte.
Die eine der beiden nebeneinander liegenden Flurtüren führte zu einer Toilette, die unverkennbar zur Sphäre der Frivolen Nachtigall gehörte. Schummerlicht, die Kacheln schwarz und rot, ebenso WC, Waschbecken und Bidet. Sogar schwarzes Toilettenpapier hatte Lulu aufgetrieben. Die zweite, abgeschlossene Tür führte in eine ganz normale Küche, die im selben skandinavisch-kargen Stil eingerichtet war wie das Schlafzimmer. Um den Esstisch gruppierten sich drei Stühle, in einer Obstschüssel lagen Orangen und eine frische Ananas. Neugierig warf ich einen Blick in den Kühlschrank. Fettarmer Joghurt, fettfreie Buttermilch, mehrere Packungen Hüttenkäse und diverse Obstsäfte. Vermutlich wurde der Kühlschrank von Lulu und Tero gemeinsam benutzt. Im unteren Schrank standen ein paar Flaschen Sekt und eine Flasche teurer Champagner. Im Vorratsschrank fand ich Müsli, Nahrungsergänzungsmittel, Nudeln und zwei Flaschen Fernet Branca, eine angebrochene und eine verschlossene. Ich packte beide ein, um den Inhalt analysieren zu lassen.
»Hast du Hunger?« Koivu war unbemerkt aufgetaucht. »Lieber Himmel, was für ein Ort. Hier kriegt die Phantasie Flügel.«
»Heb dir deine Phantasien für
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