Wer sich nicht fügen will
Abschluss der Polizeischule hatte ich zuerst bei der Sittenpolizei gearbeitet, die wenig später aufgelöst wurde. Damals, Mitte der achtziger Jahre, hatte die Prostitution ein ganz anderes Gesicht als heute. Drogen spielten kaum eine Rolle, stattdessen wurde Alkohol konsumiert, und die Frauen waren fast ausnahmslos Finninnen. Die ganze Szene war sozusagen unschuldiger und amateurhafter gewesen. Der Zusammenbruch der Sowjetunion und die Wirtschaftskrise Anfang der neunziger Jahre hatten dem Sexgeschäft dann einen explosionsartigen Aufschwung beschert, und ein Ende des Trends war nicht in Sicht. Auch wenn Nordström und seine Kollegen dagegen ankämpften, fürchtete ich, dass man auch in Finnland bald alles haben konnte, wonach einem der Sinn stand: Gelbe oder Schwarze, zwölfjährige Kinder oder zweihundert Kilo schwere Frauen. Die Reichen konnten natürlich ohnehin in Länder reisen, in denen Eltern sogar Kleinkinder an Touristen verkauften, um ihren Lebensstandard zu verbessern.
Wir machten uns auf den Rückweg nach Espoo. Im Zentrum von Helsinki herrschte natürlich Berufsverkehr; vor dem Ateneum standen wir lange an der Ampel. Koivu pfiff vor sich hin, trommelte auf das Armaturenbrett und schien die Frauen zu beäugen, deren Formen allerdings unter dicken Wintermänteln verborgen waren. Die Sonne war inzwischen aufgegangen, tagsüber würde es vermutlich ein paar Stunden geben, in denen es einem im Mantel zu warm wurde.
»Maria, guck mal! Ist das nicht Sulonen?«, rief Koivu plötzlich. Ich drehte mich um und sah gerade noch einen breitschultrigen Mann mit Bürstenschnitt im Eingang zum Bahnhofsuntergeschoss verschwinden.
»Verdammt!« Koivu stieß die Tür auf. »Ich lauf ihm nach, wir halten per Handy Kontakt. Versuch die Helsinkier zu alarmieren. Den Kerl schnappen wir uns!«
Für einen Mann von seiner Größe lief Koivu erstaunlich flink die Treppe hinunter. Ich bat die Einsatzzentrale, eine Streife ins Bahnhofsuntergeschoss zu schicken, und gab Tero Sulonens Personenbeschreibung durch. Von seiner Kleidung hatte ich dummerweise nur die schwarze Lederjacke gesehen. Ich stellte den Wagen vor dem Bahnhof ab, legte das Polizeikennzeichen unter die Windschutzscheibe und lief die Treppe zwischen Bahnhof und Kaufhaus Sokos hinunter. Im Laufen befestigte ich das Handy am Gürtel, die Kopfhörer hatte ich schon im Ohr. Koivu meldete sich sofort.
»Hast du Sichtkontakt zu Sulonen?«, fragte ich ihn.
»Ja, er hat gerade am Kiosk Kaugummi gekauft. Glaubst du, er ist gefährlich? Soll ich versuchen, ihn allein zu schnappen?«
»Warte auf mich oder die Streife. Da kommen gerade zwei Kollegen von der Metrostation hoch, aber die kennen Sulonen natürlich nicht.«
»Jetzt geht er in den Plattenladen«, meldete Koivu, und ich war zufrieden. Das Geschäft war klein, Sulonen konnte es nicht unbemerkt verlassen.
»Behalte den Eingang im Auge, aber mach dich möglichst unsichtbar. Ach ja, er kennt dich ja gar nicht. Ich bin in einer Minute da.«
Ich beschleunigte meine Schritte und holte die beiden Streifenbeamten an der Rolltreppe ein. Sie hießen Montonen und Konkola. Wir gingen in das Plattengeschäft, wo Koivu unmittelbar neben Sulonen am Regal mit der Heavymusik stand. Sulonen hielt die neueste CD von Timo Rautiainen und dem Trio Niskalaukaus in der Hand. Dem Aussehen nach hätte er selbst zu der Band gehören können.
»Hallo, Tero. Ich muss mit dir reden«, sagte ich. Sulonen drehte sich erschrocken um. Als er mich und die Uniformierten sah, ließ er die CD fallen, als handelte es sich um verbotene Ware.
»Worüber denn?« Dicke Tränensäcke hingen unter seinen blutunterlaufenen Augen.
»Wir haben noch ein paar Fragen. Komm mit nach Espoo. Wir hatten schon versucht, dich zu erreichen, aber du hast dich nicht gemeldet.«
»Mein Handy ist kaputt.« Sulonens Stimme klang verängstigt. Ich trat neben ihn.
»Komm. Unser Auto steht gleich da oben.«
Ich versuchte in seinem Gesicht zu lesen, war mir aber nicht sicher, ob er lediglich überrascht oder doch restlos entsetzt war. Koivu flankierte ihn von der anderen Seite, Montonen und Konkola bildeten die Nachhut. Beide waren groß, der glatzköpfige Konkola maß gut und gerne zwei Meter. Montonen hatte sich die Haare mit Gel hochgekämmt wie ein Punker. Neben den beiden sah Sulonen wie ein kleiner Spund aus – wie ich selbst wirkte, wagte ich mir gar nicht erst vorzustellen.
Wir gingen auf die Treppe zu, die zum Bahnhofsplatz führte, doch vor dem Ethnoladen
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