Wer sich nicht wehrt...
Hasso, eine wunderschöne deutsche Dogge. Goldgelb. Hat schon neun Preise gewonnen. Wenn ich daran denke, jemand könnte Hasso … Lassen wir das.« Er wischte sich über die Augen. »Also Ihre Anzeige. Schildern Sie den Tathergang. Wir würden Ihnen ja helfen – wenn wir nur könnten …«
Es kommt nichts dabei heraus, dachte Tenndorf, als er nach einer halben Stunde das Präsidium wieder verließ. Ein Diebstahl wird aktenkundig und wird weggelegt … wegen Geringfügigkeit, wegen Überlastung der Polizei, wegen Aussichtslosigkeit. Eine geringwertige Sache wurde gestohlen …
Bis gegen Mittag fuhr Tenndorf von Anzeigenannahme zu Anzeigenannahme der Zeitungen im Umkreis von Hannover. Überall teilte man seinen Kummer, versprach, den Text an bevorzugter Stelle der Zeitung abzudrucken. Einer sagte sogar: »Wenn man so einen Kerl bekommt, den sollte man selbst für Versuche zur Verfügung stellen!« Und ein Lokalreporter machte mit Tenndorf sofort ein Interview. Überschrift: So werden Kinderherzen gebrochen.
Tenndorf blickte auf die Uhr, setzte sich in einem Café ans Fenster und trank ein Kännchen Mokka. Noch eine halbe Stunde bis zum Besuch bei Prof. Sänfter. Während dieser halben Stunde wurde ihm demonstriert, wie hoffnungslos eine Suche war. Neun weiße Lieferwagen fuhren in dieser Zeit auf der Straße vorbei, und jeder hätte der Tierfänger sein können. Abbels hatte recht: Hier war die Polizei hilflos.
Ein paar Minuten dachte Tenndorf auch an Carola Holthusen. Sie hatte sich angeboten, Wiga und ihren Sohn von der Schule abzuholen. Eine schöne Frau, so um die Dreißig, sah fabelhaft jung aus und hatte zwei Grübchen in den Wangen, wenn sie lachte. Ihr Mann, Holger Holthusen, mußte ein Idiot sein … von einer solchen Frau läuft man nicht weg nach Australien. Ob sie einen Liebhaber hat? Natürlich hat sie einen … eine solche Frau bleibt doch nicht allein! Gerade in der Modebranche ergeben sich ungezählte Möglichkeiten. Warum soll sie auch keinen Liebhaber haben? Über die Hälfte des Lebens liegt ja noch vor ihr … wie bei mir.
Tenndorf bezahlte, watete durch den Schneematsch zu seinem Wagen und fuhr zur Klinik. In der Tasche hatte er eine Rohskizze der Schwimmhalle für Sänfter; gleich nach dessen Anruf hatte er sie gezeichnet.
Prof. Sänfter war noch in einer Konferenz mit seinen Stationsärzten. Tenndorf nahm vor dem mit Papieren, Broschüren, Röntgenmappen und Zeitschriften übersäten Schreibtisch Platz und wartete. Frau Bordo – Sänfter nannte sie ›Château Lafite‹, nach einem großen Weingut bei Bordeaux – hatte Tenndorf eine Flasche Mineralwasser gebracht. Ja, rauchen dürfe er. Der Professor rauche auch, viel zu viel!
Tenndorf sah sich um. Regale voller medizinischer Literatur, ein paar eingerahmte Urkunden, die den internationalen Ruf von Sänfter dokumentierten, zwei Fotos von würdigen alten Herren, Sänfters Lehrern für Pathologie und seinem Doktorvater – alles so, wie man sich ein Chefarztzimmer vorstellt. Tenndorf mußte lächeln. Es ist wahr, dachte er. Das Leben ist voller Klischees, aber die wenigsten wollen es wahrhaben.
Sein Blick fiel auf einen kleinen Stapel Fotos. Neugierig beugte er sich vor, betrachtete das obere Bild und zuckte dann von seinem Stuhl hoch.
Die Aufnahme zeigte ein Schaf in einer Wanne, die mit eisigem Wasser gefüllt war. Dicke Eisstücke schwammen auf der Oberfläche. Aus dem Maul und dem Hals führten Schläuche zu einigen Meßgeräten.
Mit zitternden Fingern blätterte Tenndorf die Fotos durch. Nicht nur Schafe waren dort abgebildet. Hunde mit Elektroden im Kopf, Katzen mit aufquellenden Geschwüren, Meerschweinchen, die apathisch mit geweiteten Augen am Boden hockten.
»Nun, haben Sie genug gesehen, Herr Tenndorf?« fragte eine Stimme von einer Seitentür.
Tenndorf ließ die Fotos auf den Tisch fallen und drehte sich langsam um. Prof. Sänfter war eingetreten, lautlos, in einem blendend weißen Kittel mit Mao-Kragen. Er ging an Tenndorf vorbei, richtete die Fotos wieder zu einem Stapel und schob ein Röntgenkuvert darüber, als bereite ihm der Anblick Schaudern.
»Ich bin wie vor den Kopf geschlagen, Herr Professor …« Tenndorf setzte sich wieder und starrte Sänfter fassungslos an. »Sie also auch …?«
»Möchten Sie einen Kognak?«
»Nein. Danke. Erklären Sie bitte, daß diese Fotos nicht von Ihnen sind …«
»Den Gefallen kann ich Ihnen nicht tun, Herr Tenndorf. Es handelt sich um Forschungsaufnahmen aus meinem
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