Wer sich nicht wehrt...
Fräulein mit dicker Brille und las in einem Roman. Auf der Poststelle von Otternbruch war es immer still, bis auf die Tage vor Ostern und vor Weihnachten. Da stapelten sich die Pakete, und Erna Sudereich stöhnte über ihr Schicksal.
Kabelmann klopfte auf die Theke. Erna Sudereich blickte hoch.
»Verzeihung, wenn ich gerade störe, wenn der Graf mit dem Bauernmädchen in einer blühenden Wiese verschwindet – ich kann Ihnen sagen, wie's weitergeht: Er leugnet später alles! – Aber ich habe einen Wunsch.«
»Bitte?!« Erna Sudereich schuf durch Haltung und Stimme einen deutlichen Abstand zu Kabelmann. »Was wollen Sie?«
»Es wird in den nächsten Tagen ein Päckchen für mich ankommen. Postlagernd. Kennwort Valencia. Das Kennwort bin ich. Ich hole es auch ab.«
»Warum Kennwort?«
»Ich bin verheiratet. Aber das Päckchen kommt von einem Schätzchen, von dem meine Frau keine Ahnung hat.« Er legte den Finger auf die Lippen. »Psst! Nicht weitersagen. Als Beamtin sind Sie zum Schweigen verpflichtet …« Er tippte an die Schläfe und verließ die Poststelle.
Erna Sudereich starrte ihm entgeistert nach, notierte sich auf einem Zettel ›Kennwort Valencia‹ und beglückwünschte sich wieder einmal, nicht geheiratet zu haben.
Draußen schwang sich Kabelmann auf sein Rad und fuhr zurück zum Wulpert-Hof.
So gut geschützt hast du alles, Willi Wulpert, dachte er. Keiner kann dir etwas nachweisen. Du fühlst dich bombensicher. Nur eins hast du nicht verhindern können: Jetzt sitzt dir eine Laus im Pelz.
4
Am Nachmittag schlug die Klingel an Tenndorfs Haustür an. Er wußte sofort, wer es war, lief aus seinem Konstruktionszimmer in die Diele und öffnete. Beim Weg zur Tür verspürte er ein lange verschüttetes Gefühl, eine freudige Erregung, die Erfüllung eines Wartens. Carola Holthusen hatte die Kinder von der Schule abgeholt und brachte nun Wiga herüber. Außerdem war sie neugierig zu hören, was Tenndorf am Vormittag bei der Kriminalpolizei und den Zeitungen erreicht hatte.
Dreistimmig schallte Tenndorf der Ruf entgegen: »Was ist mit Pumpi und Micky …?«
»Das ist alles ganz, ganz mies. Kommt rein …« Damit war auch Carola gemeint, und sie faßte es genau so auf. Im Wohnzimmer setzten sich alle auf die große Eckcouch und sahen Tenndorf auffordernd an.
»Ich schlage vor, ihr geht erst mal in Wigas Zimmer und kümmert euch um eure Hausaufgaben«, sagte Tenndorf zögernd.
»Sind schon gemacht!« rief Wiga sofort. »Bei Tante Carola.«
»Ich hab' sie auch fertig. Mama paßt da schon auf …«, bekräftigte Mike.
»Ach so.« Tenndorf blickte etwas unschlüssig zu Carola Holthusen. »Tun Sie das immer?«
»Ja. Wenn … wenn noch ein Vater da wäre, dann … Aber so habe ich mich daran gewöhnt, Mutter und Vater zu sein. Es geht ganz gut.«
»Und wenn Sie auf Reisen gehen, zu den Modeschauen in Paris und Mailand, zu den Modemessen?«
»Dann bringe ich Mike zu meiner Tante nach Braunschweig.« Sie hob bedauernd die Schultern. »Anders geht es leider nicht.«
»Früher! Jetzt könnte es anders gehen. Wenn Sie verreisen müssen, bringen Sie Mike einfach zu mir.«
»Au fein!« schrie Mike sofort. »Mama, wann verreist du wieder?!«
Carola Holthusen schüttelte den Kopf. »Das kann ich unmöglich verlangen«, sagte sie und wich Tenndorfs Blick aus.
»Verlangen nicht … ich bitte Sie darum.«
»Mike ist ein wilder Junge. So brav, wie er jetzt hier sitzt, ist er gar nicht.«
»Ich werde ihn schon an die lange Leine nehmen.« Tenndorf lächelte. »Auch Wiga ist kein Engelchen, obwohl sie so aussieht. Sie verstehen sich blendend … und das ist mein Hintergedanke: Wenn ich verreisen muß, schicke ich Wiga zu Ihnen hinüber.«
»Jederzeit.« Carola holte aus ihrer Handtasche ein Päckchen Zigaretten und ein vergoldetes Feuerzeug und legte sie auf den Tisch. »Darf ich? Danke. Auch Sie müssen ab und zu weg?«
»Meine Bauherrn sind verstreut über ganz Deutschland. Der entfernteste wohnt im Süden, am Tegernsee. Obzwar es dort hervorragende Architekten gibt, wollte er, daß ich sein Landhaus entwerfe. Ja, und dann –« Tenndorf ritt der Teufel, aber es machte ihm Spaß, das zu sagen – »man hat ja auch ab und zu persönliche Interessen, die einen für zwei, drei Tage wegführen …«
»Ich verstehe.« Sie sagte das ganz nüchtern, als sei es selbstverständlich, daß ein Mann ihr mit einer Umschreibung mitteilte, daß er ab und zu mit einer Frau ins Unbekannte verschwinde. »Und wer paßt
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