Wer sich nicht wehrt...
Halle II. Emmi und Josef waren schon längst ins Bett gegangen, ohne auf ihn zu warten. Das hatten sie aufgegeben; es kam öfter vor, daß Wulpert sich entschloß, auswärts zu übernachten. Oft im Geschäftsleben werden Verträge bei einem guten Essen und noch besserem Wein ausgehandelt, und da war Wulpert vorsichtig und bezog lieber ein Hotelzimmer als eine Polizeizelle wegen zu hohen Alkoholanteils im Blut.
In Halle II arbeitete noch Laurenz Kabelmann. Er hatte den Boden abgespritzt und nach den Kaninchenkäfigen auch die Hundeboxen gesäubert. Als Wulpert eintrat, bürstete er gerade das Fell eines alten Sennhundes, eines der ›voroperierten‹ Tiere, die schon einige chirurgische Eingriffe hinter sich hatten und nun auf ihren Versand zu Industrielabors warteten … auf die Endstation.
»Da haut einer aber Stunden runter!« sagte Wulpert gemütlich. »Aber für den, den du gerade im Schönheitssalon hast, kriegste keinen Pfennig, Lauro! Das ist ein Krüppel, den ich im Dutzend billiger verkaufe. Der braucht keine ondulierten Löckchen mehr.«
Er lachte kräftig über seinen bitteren Witz und ging dann die Reihe der Hundeboxen ab. Vor einem Drahtkäfig blieb er stehen. In ihm kauerte ein Hund mit einem schwarz-weiß-roten Fell. Wulpert schüttelte den Kopf und winkte Kabelmann heran.
»Hast du den Kerl gesehen? Das ist eine Type, was?! Schwarz-weiß-rot … da juckt mein Nationalgefühl! Der kommt in kein Labor, den behalte ich für mich. Mach einen Auslaufstall frei. Was für 'nen Namen würdest du dem geben?«
»Bismarck …«
»Bismarck? Hast du 'nen Aderriß im Gehirn?! Der heißt ab sofort ›Fähnchen‹. Die Flagge schwarz-weiß-rot … Guck nicht so dämlich, Lauro, für die Farben habe ich mein Bein verloren.« Er beugte sich zu dem Drahtgitter vor, schnalzte mit der Zunge, sagte fast zärtlich: »Ja, wo ist er denn? Wo ist Fähnchen? Komm her, Fähnchen. Komm zu Herrchen, Fähnchen …« Aber der Hund rührte sich nicht. Er kroch nur noch enger in die Ecke des Käfigs. Pumpi hatte Angst … und zudem war Micky nicht mehr bei ihm. Irgendwo in der großen Halle saß auch sie in einem engen Käfig, leckte ihre Wunden und war völlig verstört.
Am nächsten Tag, nach dem Mittagessen, bei dem Kabelmann drei Teller leerte – es gab Nudeln mit Rindfleisch –, bat er um eine Stunde Urlaub. Er habe gestern acht Stunden gearbeitet, das mache vierundsechzig Mark, die solle man ihm bitte auszahlen. Davon wolle er zwei Hemden und zwei Unterhosen kaufen, damit die Chefin nicht weiterhin denke, er sei ein Schwein. Wulpert lachte laut, gab ihm frei, und Kabelmann fuhr mit seinem Rad nach Otternbruch.
Er kaufte sich tatsächlich in dem Geschäft, das alles führte – vom Bodenwachs bis zum vom Pfarrer gesegneten Rosenkranz –, die billigsten Hemden und dazu zwei Unterhosen. Eine Unterhose mußte er sogar auf Kredit kaufen, da das Geld nur noch für eine reichte, aber als er sagte, er sei bei Willi Wulpert angestellt, hatte man keinerlei Bedenken mehr. Der Name bürgte für jeden Kredit.
Mit dem Paket unterm Arm ging Kabelmann dann durchs Dorf zur Posthalterstelle, schloß hinter sich die Fernsprechzellentür und wählte. »Hier ist Hans«, sagte er, als sich der Teilnehmer meldete. »Leute, es hat alles geklappt. Ich bin bei Wulpert angestellt. Den Tippelbruder Laurenz Kabelmann haben sie mir sofort abgenommen.«
Der Angerufene schien etwas zu fragen, Kabelmann nickte.
»Was ich bisher gesehen habe, reicht hundertmal aus, Wulpert in die Mangel zu nehmen. Vater und Sohn. Ich war zweimal nahe dran, mit der Faust zuzuschlagen. Aber den Kerlen ist nichts nachzuweisen. Alle Tiere, ob geklaut oder woher sie auch kommen, erhalten hier Papiere. Verkaufsquittungen, Einfuhrbescheinigungen, Briefe von angeblichen Vorbesitzern – das alles liegt blanko im Büro und wird bei den Einlieferungen ausgefüllt. Nichts ist ihnen zu beweisen! Aber irgendwo entdecke ich eine schwache Stelle. Ich brauche nur Zeit. Schrecklich ist, daß bis dahin einige hundert Tiere in die Labors wandern. Aber ich kann's nicht ändern. Ihr könntet höchstens hier aufkreuzen und die Wulperts nervös machen. Ja, noch was: Ich brauche die Kamera, die Minox. Schickt sie nach Otternbruch, postlagernd, Kennwort ›Valencia‹. Ja, das ist blöd, ich weiß. Ich bin in drei Tagen wieder auf der Post und hole das Päckchen ab. Vergeßt nicht drei Ersatzfilme. Macht's gut, Leute.«
Kabelmann hängte ein und ging zum Schalter. Dort saß ein ältliches
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