Wer sich nicht wehrt...
dann auf Wiga auf?«
»Das ist verschieden. Wir haben keine Oma und keinen Opa, keine Tante, keinen Onkel, nur einen Vetter zweiten Grades, aber der ist ein hochnäsiger Fatzke. Besitzer von drei Zementfabriken. Entweder bringe ich Wiga zu Freunden – es sind ja immer nur ein paar Tage – oder Frau Hülstenbek kümmert sich um sie.«
»Wer ist Frau Hülstenbek?«
»Eine nette, ältere Dame, die bis zu ihrer Pensionierung als Haushälterin bei einem Direktor Wiggele angestellt war. Für Wiggele habe ich mal einen Wohnblock gebaut, daher kenne ich sie. Nun lebt sie allein und ist glücklich, wenn sie bei uns sein darf.«
Mit großen Augen hatte Wiga zugehört. Als Tenndorf jetzt Atem holte, wurde sie endlich ihre Frage los: »Wer ist Frau Hülstenbek, Papi?«
»Aber Wiga!« Tenndorf warf verlegen einen Seitenblick auf Carola. Um ihre Lippen spielte ein leichtes Lächeln. »Tante Paula …«
»Tante Paula …? Ich kenne nur Tante Evelyn, Tante Marion, Tante Lola, Tante Christa, Tante Pussy …«
»Das reicht, Wiga.« Carola Holthusen legte den Arm um Wiga. »Bei so vielen Tanten kann sogar dein Papi die Namen verwechseln. Sind sie nett?«
»Nicht immer, Tante Carola …«
»Nein, bitte das nicht.« Carola drückte Wiga an sich. »In diese Reihe von Tanten passe ich nicht rein. Sag einfach Carola zu mir.«
»Au fein!«
Tenndorf war plötzlich wütend, nicht auf Wiga, sondern auf sich selbst. Da versucht man, Reaktionen zu entlocken, und fällt voll auf die Nase. Er ging zur Hausbar und drehte sich dort kurz um. »Was wollen wir trinken?«
Carola schüttelte den Kopf. Sie hatte die Arme um die Kinder gelegt und sie an sich gezogen. Es war ein schöner Anblick … wie eine glückliche Familie.
»Sie können trinken, was Ihnen schmeckt. Ich trinke am Tag nie Alkohol. Vielleicht einen Orangensaft.«
»Genau den habe ich nicht.«
»Aber ich habe Milch!« Wiga sprang auf. »Ich hol' sie aus der Küche, Carola.« Sie lief hinaus, und Mike folgte ihr.
Tenndorf drehte sich an der Bar voll zu Carola um. »Jetzt denken Sie: Meinen Jungen werde ich nie diesem Wüstling zur Bewahrung geben! In Wirklichkeit ist das alles harmlos …«
»Sie sind mir doch keine Rechenschaft schuldig.« Ihr Lächeln war von einer Art, die Tenndorfs Herz weitete. »Auch meine Reisen dienen nicht ausschließlich der Mode.«
»Das konnte ich mir denken.« Tenndorfs Stimme klang plötzlich anders, etwas gepreßt.
»Wieso?«
»Eine so attraktive Frau wie Sie …«
»Ach, lassen Sie das doch, Herr Tenndorf.« Sie winkte scheinbar ärgerlich ab und zog den hochgerutschten Rock tief über die Knie. »Ich hätte Ihnen solche abgedroschenen Floskeln nicht zugetraut.«
»Soll ich sagen: Sie sind eine phantastische Frau?«
»Auch nicht besser. Was halten Sie von ›Tante‹ Pussy …?«
»Ach, bloß das nicht!« Tenndorf schüttete sich einen großen Kognak ein. Blattschuß, dachte er begeistert. Die ›Tanten‹ hat sie doch nicht so einfach weggeschluckt. Horst, mein Junge, sie zeigt Wirkung. Warum kann man jetzt nicht Juchhu schreien?! »Wir sollten lieber über den fast vergangenen Tag reden. Er war, um mit einem Wort alles zu sagen, beschissen … Pardon –«
Wiga und Mike kamen aus der Küche zurück. Wiga trug ein hohes Glas, Mike die Milchtüte. Es war entrahmte Milch, Carola sah es an der Farbe des Aufdruckes. Wieder lächelte sie – jetzt sah es sogar provozierend aus.
»Entrahmt?«
»Wegen der Figur.«
»Ganz klar. Tante Pussy mag nur sportliche Männer mit strammen Muskeln.« Sie goß die Milch in das Glas, prostete damit Tenndorf zu und trank einen kleinen Schluck. »Was hat die Polizei gesagt?«
»Um auf Tante Pussy zurückzukommen …«, setzte Tenndorf an, aber Carola Holthusen schüttelte den Kopf.
»Wir wollten über Pumpi und Micky reden, Herr Tenndorf.«
Das Tenndorf klang so, als falle eine Schranke zwischen ihnen. Sie hat eine grandiose Selbstbeherrschung, dachte Tenndorf bewundernd. Wer ihr erstmals gegenübersteht, glaubt niemals, daß sie sich so fest in der Hand hat. Sie war eine Frau, die in ihren jungen Jahren schon mit einer großen Enttäuschung hatte fertig werden müssen, sie war begreiflicherweise auf der Hut. Sie streckte ihre Stacheln aus, sie wollte erobert werden, nach einem kurzen Leben voller Lügen wollte sie jetzt in der Klarheit leben.
In diesem Augenblick war Tenndorf sogar dankbar für Wigas Tantenaufzählung. Alle Namen, die sie genannt hatte, waren die Ehefrauen der Bauherrn, die der
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