Wer sich nicht wehrt...
man ihnen einmal ganz deutlich sagen: Es ist so vieles faul im Zusammenleben von Mensch und Tier und mit der Natur im allgemeinen.
»Es freut mich, daß Sie angerufen haben, Herr Holle.«
»Das allein ist es nicht.« Steffen Holle sprach schnell, weil er spürte, daß Tenndorf einhängen wollte. Sein Gefühl trog ihn nicht … Tenndorf hielt den schon weggenommenen Hörer wieder an sein Ohr. »Wir haben noch eine Bitte.«
»Ich höre …«
»Wenn es Ihre Zeit zuläßt, wäre es für alle sehr nützlich, wenn Sie bei uns einmal vorbeikämen.«
»Sehr gern.« Tenndorf hängte einen uralten Witz an, der ihm immer wieder gefiel. »Aber von meinem Vorbeikommen haben Sie gar nichts … ich müßte schon reinkommen!«
»Sehr witzig.« Steffen Holle lachte etwas gequält. »Ich denke, wir können Ihnen vielleicht helfen. Wir haben eine Menge Adressen von Tierhändlern – legalen und illegalen – und von Instituten und Firmen, die sich mit Tierversuchen beschäftigen.«
»Das ist ja toll, Herr Holle! Ich bin schon morgen vormittag bei Ihnen.«
»Wir haben unser Büro in der Harvelust-Straße 14. Am Eingang steht allerdings nicht unser Vereinsname, sondern IMPO – Import und Export von Südfrüchten. Warum, das erfahren Sie, wenn Sie hier sind und – wie soll ich mich ausdrücken – unser Vertrauen gewonnen haben. Verzeihen Sie, das klingt dumm, ich weiß es, aber wir müssen aus bestimmten Gründen sehr vorsichtig sein.«
»Ich beginne zu verstehen«, sagte Tenndorf langsam. Gedanken jagten durch seinen Kopf. Das war es! Wenn es eine reale Chance gab, die letzte Möglichkeit vielleicht … das war es!
»Wir wären Ihnen sehr dankbar, Herr Tenndorf«, sagte Steffen Holle eindringlich, »wenn Sie von diesem Telefongespräch keinem erzählen würden. Auch der Mutter des betroffenen Jungen nicht.«
»Versprochen.«
»Danke. Dann also bis morgen vormittag.«
»Bis morgen.« Tenndorf legte auf. Er atmete ein paarmal tief durch. Namen von Instituten und Firmen, die mit Tierversuchen arbeiten. Waren Micky und Pumpi mit Hilfe dieser Aktionsgemeinschaft wiederzufinden? Die innere Spannung war so groß, daß Tenndorf aufsprang, zu seiner kleinen Hausbar ging und sich einen doppelten Kognak einschüttete. Jetzt nur den kühlen Kopf behalten, dachte er. Keine dumme Euphorie, keine voreiligen Erwartungen, keine übersteigerten Hoffnungen. Denn morgen sind Micky und Pumpi drei Tage verschwunden.
Im langen Gang des Kellers kamen Carola Holthusen nacheinander drei weißbekittelte Herren entgegen, ohne sie zu beachten oder anzusprechen. Weißer Kittel – sie gehörte dazu. Nur ein älterer ›Kollege‹ blieb stehen, als sie etwas hilflos vor dem Labyrinth der Flure und Zimmer stand.
»Kann ich Ihnen helfen?« fragte er freundlich.
»Ich weiß nicht … Ich … ich komme von Haus Vier und soll in den Versuchstierstallungen einen Beagle-Hund abholen. Wir … wir probieren ein neues Sulfonamid aus …«
»Da sind Sie hier völlig falsch, Kollegin. Flur fünf, ganz hinten durch und dann links.«
»Flur fünf? Danke …« Carola stockte. »Wo ist Flur fünf?«
»Sie sind neu bei uns?«
»Ja. Warum?«
»Dachte ich mir. Bei uns haben die Flure keine Ziffer, sondern an den Ecken eine Farbe. Eins ist rot, zwei blau, drei gelb und so weiter. Flur fünf ist lila.«
»Danke, Herr …«
»Borromäus Polder. Ein ungewöhnlicher Name, ich weiß. – Aber meine Eltern werden sich damals vor 55 Jahren etwas dabei gedacht haben.«
»Ich bin Carola Holthusen. Nochmals vielen Dank.«
»Aber ich bitte Sie, nicht der Rede wert.« Polder, seit über zwanzig Jahren bei der Biosaturn und Chemiker für organische Chemie, winkte ab. »Wenn ich Ihnen irgendwie helfen kann, rufen Sie mich an. Hausnummer 583. Ich kenne das: Wer hier eintritt, irrt erst einmal herum und ist hinterher total verwirrt.«
»Vielleicht komme ich darauf zurück, Herr Polder.« Carola sah zur Flurecke, sah, daß sie gelb war, also Flur drei, und ging weiter. Polder blickte ihr kurz nach, so wie ein Mann auch reiferen Alters einer jungen schönen Frau nachblickt, und verschwand dann in seinem Zimmer.
Am Ende von Flur fünf – lila Farbe – und dann links im Stichflur lagen die Tierställe. Eine Doppeltür ohne Aufschrift führte in einen großen Raum, an dessen Wänden Transportkäfige standen. Aus den hinteren Räumen ertönte Gebell, Quietschen, Kreischen … ein Wirrwarr von Tierstimmen. Ab und zu überlagerte ein Schrei alle anderen Stimmen – ein Schrei,
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