Wer sich nicht wehrt...
Holle.
»Ja«, Tenndorf überwand sich und nickte. »Ich frage mich nur: Warum?«
»Das erkläre ich Ihnen später.« Holle reichte ihm ein Bild. »Fotos aus einer sogenannten LD-50-Testreihe. Zur Erklärung: L heißt letal, also tödlich, D heißt Dosis, und 50 ist der Prozentsatz. Mit diesem LD-50-Test wird die akute und subakute Toxizität einer Substanz ermittelt, also die Giftigkeit eines Mittels. Mehrere Versuchsgruppen bekommen unterschiedliche Konzentrationen. Wenn in einer Gruppe 50 Prozent der Tiere sterben, ist das Testziel erreicht. Daher also 50! Mit anderen Worten: Die in den LD-50-Test genommenen Tiere sind zum Tode verurteilt. Wir wissen, wie lange so ein qualvolles Giftsterben dauern kann – Stunden, Tage, Wochen, ein Todeskampf unter fürchterlichen Qualen. So wurde ein neues Pflanzenschutzmittel getestet an Affen, Hunden und Katzen. Die Tiere litten danach an Atemnot, Übelkeit, Erbrechen, Lähmungen, Erblindungen, Lungenzersetzung und Hirnkrämpfen, bis sie endlich nach über zwei Wochen von ihren Leiden erlöst wurden. Nur, damit eine Rose keine Blattläuse bekommt!« Holle nahm Tenndorf das Foto ab. »Für diese LD-50-Versuche braucht man keine wertvollen Zuchttiere. Da genügen auch auf der Straße eingefangene Hunde und Katzen …«
»Mein Gott! Woher nehmen Sie die Perversität, mir, gerade mir das zu sagen?« sagte Tenndorf gepreßt.
Holle winkte ab und griff zum nächsten Foto. »Was sehen Sie hier? Ein Schwein, ein richtiges Hausschwein, auf dem Seziertisch. Eine Tierklinik, wird jeder denken, der das Foto sieht. Irrtum! Das Foto zeigt eine Vivisektion im Auftrage der Bundeswehr. Denn das Schwein wurde erschossen. Mit einer neuen Munition, deren Durchschlagskraft und Wirkung man auf verschiedene Entfernungen testet. So erprobt man an Tieren auch die sogenannte C-Waffe, die chemischen Kampfmittel wie Giftgas. Ebenso Bakterienbomben und Vakuumgranaten. Und auch das ist bekannt: Für militärische Versuche sind in den Jahren 1970 bis 1983 von der Bundeswehr rund 96.000 Schafe, Schweine, Ziegen, Maultiere und Hunde herangezogen worden. Sie hören richtig – im Militärjargon heißt es tatsächlich herangezogene Ab 1983 bisher Schweigen, aber wir ahnen Schreckliches.«
Holle legte das Foto zu den anderen. Tenndorf schwieg. Nur um seine Augen zuckte es merklich.
»Sie könnten jetzt entgegnen: Was wollen Sie eigentlich! Sie regen sich über ein erschossenes Schwein auf, und täglich werden in der ganzen Welt Millionen Schweine geschlachtet und gegessen. Millionen Rinder, Millionen Hammel, Millionen Kälbchen. Wir, die Menschen, fressen sie. Warum soll man da nicht ein paar Ziegen oder Schweine mit neuer Munition erschießen oder in Gaskammern umbringen? Die Jäger schießen ja auch Rehe, Böcke, Fasanen – für die Pfanne, für den Brattopf, für den Grill. Dieses erschossene Bundeswehrschwein vermittelt aber Erkenntnisse, die im Ernstfall eines Krieges verwertet werden können, zum Schutz der Menschen! Eine Argumentation wie bei den Medizinern. Was denken Sie jetzt?«
»An mein Mittagessen. Ich wollte mir ein Steak braten …« Tenndorf verzog den Mund zu einem matten Lächeln. »Sollen wir alle Vegetarier werden? Da werden Grüne Botaniker behaupten: Auch Pflanzen sind Lebewesen! Amerikanische Forscher haben angeblich festgestellt, daß Blumen, wenn sie ausgerupft oder geschnitten werden, weinen können! Was bleibt uns dann noch? Nur das Verhungern! Herr Holle, das ist doch irr!« Tenndorf schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Wenn man das ganze Problem der Tierversuche so sieht, hat jede Diskussion überhaupt keinen Sinn mehr! Es geht doch nicht um das getötete Tier, es geht um das gequälte Tier! Um eine vermeidbare Grausamkeit am Tier.«
»Genau das wollte ich von Ihnen hören, Herr Tenndorf.« Holle klappte die Bildermappe zu. Die anderen Fotos zeigten doch nur in Variationen das Gleiche: verstümmelte Kreaturen, auf Seziertischen, in Foltergeräten, in Apparate eingespannt, aufgehängt oder mit eingepflanzten Elektroden. »Mir schien es, als habe Professor Sänfter Sie unsicher gemacht. Natürlich braten auch wir weiterhin unser Steak und grillen unser Spanferkel.«
»Zum drittenmal meine Frage: Warum zeigen und erzählen Sie mir das alles?«
»Um Sie zu gewinnen.«
»Gewinnen? Wofür?«
»Für neue Aktionen gegen die Händler, die diese Tiere für den Tod verhökern.« Holle steckte sich eine neue Zigarette an. »Es ist doch so, Herr Tenndorf: Alle Welt regt
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