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Wer sich nicht wehrt...

Wer sich nicht wehrt...

Titel: Wer sich nicht wehrt... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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doch Gäste …« oder »Hast du vergessen? Du hast versprochen, daß wir heute essen gehen …« – Die Antworten waren ja immer die gleichen. Anscheinend lagen in der Klinik nur noch schwere Fälle. Sie fragte nun nicht mehr, sondern gab eigene Partys mit Freunden aus Segel-, Golf- und Tennis-Club, mit Jagdgefährten und den überall auftauchenden Typen, wo die Schickeria feiert. Ja, es tat ihr sogar gut, wenn jemand fragte: »Vivisektiert dein Mann heute wieder ein Kaninchen?«, denn es heißt vivisezieren, und Regina war der Ansicht, daß eine gewisse Unwissenheit charmant sein kann. So wuchs ihr gesellschaftlicher Kreis immer mehr, und es kam öfter vor, daß Sänfter bei seiner Rückkehr aus der Klinik oder dem Labor sein Haus voller Gäste sah, von denen er niemanden kannte.
    Das Haus. Er hatte es sich von einem damals noch unbekannten Architekten bauen lassen. Im exklusiven Herrenhausen hatte er ein Grundstück gefunden, das so teuer war, daß sein Schwiegervater, der Ventilfabrikant, mit einspringen mußte. Aber die Villa, die ihm der junge Architekt dann baute, war ein Schmuckstück geworden. Regina machte daraus – mit Vaters Geld – einen Treffpunkt der Prominenz, eine Visitenkarte, die jedem sagte: Prof. Sänfter ist einer der ganz Großen. Die ›Villa Sänfter‹ wurde zum ›Salon‹ der Schickeria, und Regina thronte in ihr als ungekrönte, beneidete und umschmeichelte Königin. Sänfter selbst behielt im ganzen Haus nur einen Zufluchtsort: seine Bibliothek. Dorthin kam keiner der Gäste … es roch zu sehr nach Geist und Wissenschaft.
    An diesem Abend kam Sänfter wieder einmal erst spät aus der Klinik. Nicht bei den Kranken hatte er sich so lange aufgehalten, sondern in den weiträumigen Kellern. Ein Teil davon war ausgebaut worden mit einem Labor, einem Operationsraum, einer Röntgenanlage und einem ›Geräteraum‹, nicht anders als zwei Stockwerke höher das Krankenhaus. Nur daß dort der OP fehlte, denn ein Arzt für Innere Medizin operiert nicht. Aber eine Intensivstation war im Keller genau so vorhanden wie ein EKG-Gerät und Ultraschall-Scanner. Einen großen Unterschied allerdings gab es hier in der Tiefe der Klinik: Die Patienten lagen nicht in Betten, sondern in Käfigen, kleinen und großen, je nach Bedarf … vom Schwein und Hund bis zur zierlichen weißen Maus. Denn dies war eine von Prof. Sänfter eingerichtete medizinische Forschungsstation. Ein halb privates Institut – vom Krankenhausträger erhielt Sänfter nur einen Zuschuß.
    Regina hatte diesen Keller nur einmal betreten. Als sie eine auf einen Tisch aufgespannte, sezierte Ratte sah, fiel sie in Ohnmacht, sprach zwei Tage nicht mit ihrem Mann und aß eine Woche lang kein Fleisch.
    An diesem Abend also kam Prof. Sänfter erst gegen 21 Uhr heim und fand sein Haus voll erleuchtet. Als er aus dem Wagen stieg, klangen ihm Tanzmusik und Stimmenlärm entgegen, auf der Terrasse entdeckte er ein küssendes Paar, dem auch die Winterkälte nichts anhaben konnte. Solche Abende seit Jahren gewöhnt, umkreiste Sänfter seine Villa, schloß eine Hintertür auf, die zum Wirtschaftsraum der Küche führte, und flüchtete ungesehen in seine Bibliothek.
    Niemand würde ihn vermissen, das wußte er. Im Gegenteil, wenn er jetzt bei der Party auftauchte, würde die Stimmung abflauen. Zumal sich in diesen Kreisen herumgesprochen hatte, was er einmal, zornig wie selten, zu einem Partygast gesagt hatte: »Was? Sie leiden unter permanenten Kopfschmerzen? Ein Hohlraum ist doch unempfindlich …« Es handelte sich um den Vorsitzenden eines Segelclubs am Maschsee. Regina wechselte darauf eine ganze Woche kein Wort mit ihrem Mann, und er genoß die Ruhe an den Abenden.
    Mit einem Seufzer der Erleichterung ließ sich Sänfter auf das Ledersofa in der Bibliothek fallen, zog die Schuhe aus, rieb die Füße gegeneinander und schloß erschöpft die Augen. Er war ein mittelgroßer, breiter Mann mit eisgrauem Haar und blauen Augen, der im weißen Kittel wirkte wie die personifizierte Zuverlässigkeit und eine Garantie der Heilung. Bei seinen Visiten spürten auch die Schwerkranken neuen Lebensmut, vor allem wenn er am Krankenbett sagte: »Das kriegen wir schon hin!« oder – natürlich nur zu Männern – »Kneifen Sie fest den Hintern zusammen, dann stehen wir das durch!« Seinen Ärzten war er mehr Vater als Vorgesetzter, die Schwestern himmelten ihn an, die Oberschwester – die wichtigste Person in einer Klinik überhaupt! – hätte sich für ihn

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