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Wer sich nicht wehrt

Wer sich nicht wehrt

Titel: Wer sich nicht wehrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wildenhain
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den Lichtkegel eines starken Scheinwerfers. Versuchten ihre Augen mit den Armen abzuschirmen. Zappelten und rannten Richtung Kanal. Man hörte sie im Wasser.
    So schnell, wie der Suchscheinwerfer aufgeflammt war, erlosch das Licht auch wieder. Dann teilten sich die Zweige. Ein Junge trat aus dem Gebüsch. Grinste und imitierte noch einmal einen scharfen Hund.
    Franco, der, als die Brüder verschwunden waren, angerannt kam, fragte: »Was ist das für ein Riesending? Wieso schleppst du das so spät am Abend in dieser Gegend mit dir rum?«
    Der Junge hob den Scheinwerfer, grinste erneut und erklärte schließlich: »Ist von meinem Onkel. Der hat da hinten auch ein Grundstück. Zum Basteln. Daher auch dieses Ding. Ich helf ihm manchmal, bastle auch. Bin gestern aber erst von einer Rei…«
    Der Junge unterbrach sich. Wirkte verwirrt und sagte dann: »Ich übernachte manchmal bei ihm. Er holt nur gerade was. Hab euch vorhin kommen sehen. Auch die beiden andern.«
    Er knipste seinen Scheinwerfer noch einmal an und wieder aus. »Muss jetzt aber zu ihm zurück. Er holt nur Bier, mein Onkel. Ist gleich wieder da …«
    Der Junge sah uns noch kurz an. Wir schwiegen, vollkommen verblüfft. Er schwenkte seinen Scheinwerfer zum Abschied einmal hin und her. Und neigte, ehe er verschwand, den Kopf. Es wirkte so, als ob er sich vor uns verbeugen wollte.
    »Komischer Kauz«, knurrte Franco. Er starrte auf die Stelle, wo der Junge aufgetaucht war. Unvermutet, wie ein Geist.
    Dann sagte Ayfer leise: »Weniger komisch als ihr.«

6
    Er hieß Viktor. Und als er am nächsten Morgen zu uns in die Klasse kam und von Frau Schubert vorgestellt wurde, wussten wir, dass dieser Viktor jemand bleiben würde, den man nicht besonders mag.
    Später erfuhr ich, dass ihn sein Vater auf unserer Schule angemeldet hatte, weil man in der Oberstufe bei uns Psychologie belegen konnte. Da lernt man Menschen zu verstehen.
    Ausgerechnet dieses Fach für Viktor, dachte ich. Aber das war später. Jetzt wussten wir noch gar nichts. Nur, dass er etwas seltsam war.
    Die Brüder waren schüchterner als in den ersten Tagen. Sie hatten Viktor, von dem uns Maren Schubert sagte, dass er vorgestern erst angekommen sei, im Garten nicht erkennen können. Und nun schauten sie beschämt an Ayfer, mir und Franco vorbei. Sie waren abgehauen. Das galt in ihren Augen ganz bestimmt als Schwäche.
    Und während unsre Lehrerin Viktor als weit gereist anpries und dabei andauernd so tat, als ob uns das was nützen würde, lehnten wir uns zurück, weil wir wussten, dass Glatze 1 und 2 uns in der nächsten Zeit in Ruhe lassen würden.
    Franco sagte beinahe bewundernd: »Mann, ich spüre jetzt noch den Kopfstoß von Karl-Heinz.«
    Viktor stand vorn an der Tafel, steif, als ob er einen Hut auf den Haaren trüge, und schrieb Städtenamen an.
    »Da«, sagte Frau Schubert, »ist er überall gewesen.« Viktor kräuselte die Lippen so, als sei das selbstverständlich. Niemand nickte. Alle schwiegen. Keiner von uns kannte diese Städte.
    »Arschloch«, knurrte Franco, »nicht nur Kauz – ein echtes Arschloch. Ganz egal, was er im Garten …«
    Franco sah sich um und meinte: »Echt, das denken alle in der Klasse.«
    Ich nickte. Auch wenn ich wusste, dass er sich irrte. Denn es gab eine Ausnahme. Leider.
    Alle anderen verzogen, während Viktor von sich sprach, angewidert die Gesichter, weil er endlos weiterschwatzte: von Reisen, Städten, fernen Ländern, Pyramiden und Schanghai. Nur Ayfer blickte neugierig nach der mageren Gestalt, die vorn vor der Tafel stand, mit den Armen hampelte und von unserer Lehrerin aufgefordert wurde weiterzuerzählen. Und während Viktor es genoss, von seinen Reisen zu berichten, kaute ich an den Fingernägeln und dachte an den vergangenen Abend, an den Kleingarten der Brüder: wie wir, Franco und ich, vor Ayfer gestanden hatten, hilflos Blätter von den Büschen rupften und sie in den Handflächen zerrieben.
    Es ist unangenehm, wenn man zugeben muss, dass man versagt hat. Und es ist besonders schwer, vor einem Mädchen verlegen zu sein, das man so mag wie ich Ayfer. Ich wunderte mich sowieso, dass sie vor den beiden Brüdern keine Angst zu haben schien, auch nicht, wie am Vortag, innerlich verletzt wirkte und äußerlich vollkommen steif. Ich wunderte mich, bis sie Viktor in der zweiten großen Pause beiläufig ein Messer zeigte.
    Viktor schrak zurück, sie lachte. Dieses Lachen blieb in meinem Nacken hocken wie ein kleines, böses Tier.
    Auch Viktor schien das

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