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Wer sich nicht wehrt

Wer sich nicht wehrt

Titel: Wer sich nicht wehrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wildenhain
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Bildern in den Heftchen sah, verließ Ayfer die Laube. Sie stieß die Holztür einfach auf und ging langsam nach draußen in den Garten bis zu einem Baum, in dessen Schatten sie verschwand.
    Weil ich gesehen hatte, dass sie plötzlich wieder wie gestern war, so wie in dem Augenblick, als ihr einer der Brüder die Hände auf die Brüste legte, folgte ich ihr in den Garten. Franco blieb allein am Tisch zurück. Und alles, was um ihn herum geschah, war nun nicht mehr wichtig.
    Mich schauderte, weil ich begriff, dass wir vielleicht noch Freunde bleiben würden, dass sich jedoch das andere, etwas, das ich noch nicht kannte, schon zwischen uns geschoben hatte. Draußen war die Welt mit einem Mal bedrohlicher. Möglicherweise lag das aber an der Stille.
    Ich suchte Ayfer, doch ich sah sie erst nach einer ganzen Weile. Sie saß auf einer Wurzel eines großen Pflaumenbaums. Sie kauerte, als wolle sie ein Stück der schwarzen Rinde werden, und hielt, beschirmt von einer Hand, eine Kerze dicht am Körper. Und immer, wenn genügend Wachs sich an dem Docht gesammelt hatte, goss Ayfer sich die Flüssigkeit vorsichtig, um nichts zu verschütten, und ohne einmal abzusetzen über die linke Hand.
    Obwohl das Kerzenwachs heiß sein musste, viel zu heiß, als dass es ihr nicht wehtun konnte, gab sie kein Geräusch von sich, sondern wiederholte nur langsam, Mal um Mal, den gleichen Vorgang.
    Ich hätte sie berühren, hätte sie vielleicht streicheln sollen, um sie zu unterbrechen. Ich hätte ihr auch etwas sagen sollen, um sie zu trösten und davon abzuhalten, sich flüssig-heißes Kerzenwachs auf ihre Hand zu gießen. Aber es gelang mir nicht. Ich war nicht Kai, sondern nur ich: Genauso schwer, wie es mir fiel, im rechten Augenblick etwas zu sagen, wär es für mich gewesen, jemanden – und ganz besonders Ayfer – anzufassen, um ihr nah zu sein.
    Und dann sagte Karl-Heinz: »Hallo!«, und beide Brüder traten, als hätten sie auf uns gewartet, unter einem Obstbaum vor auf Ayfer zu.
    Noch immer hörte man Francos Kichern in der Laube. Manchmal fiel ein Heft vom Tisch. Sonst war es still und wieder schienen die Brüder mich nicht zu beachten. Sie gingen nur, als seien sie mit Ayfer verabredet, ganz ruhig auf sie zu und boten ihr, zuerst Karl-Heinz, die Hand an, um ihr aufzuhelfen.
    Ebenso selbstverständlich stellte Ayfer die Kerze ab, ergriff die vorgestreckten Hände und ließ sich ohne Widerstand hochziehen, bis sie aufrecht vor den Brüdern stand.
    Erst nach einer kurzen Zeit, in der sich keiner von den dreien geregt hatte, ließen die Brüder Ayfers Finger los. Die Hände hingen an ihrem schlanken Körper wie Uhrpendel herab. Und dann sagten die Brüder kaum hörbar: »Und was machst du hier?«
    Wieder meinten sie nicht mich, nicht einmal Franco, der noch immer zwischen ihren Heften in der Laube kicherte.
    Ayfer gab keine Antwort. Wich nicht zurück. Auch ich blieb stumm, ein Mann auf einem Sockel aus Granit.
    Wieder tropften die Sekunden zwischen der Dunkelheit ins Gras. Erst als Ayfer ihre Arme verschränkte, lächelten die Brüder. Und mit einer zunächst fast schüchternen Bewegung, die, so als müsse er sich korrigieren, sehr plötzlich grob wurde und schnell, hob Eberhard die rechte Hand und fasste ihr, ein Ruck, zwischen die Beine.
    Vielleicht zehn Sekunden standen sie einander gegenüber und es sah aus, als könnten sie sich weder bewegen noch reden, atmen oder schreien. Sie warteten nicht einmal, sondern standen nur, als habe jemand sie in ihrer Pose verzaubert und danach nicht mehr erlöst.
    Das einzige Geräusch war Francos Kichern. Aber auch das verebbte bald. Ich wollte nach ihm rufen, doch ich schaffte es nicht mehr. Die Stille blieb umfassend, groß und schwer. Und darin eingeschlossen stand Eberhard vor Ayfer und seine rechte Hand klebte an ihrer Hose. Vielleicht hätte man lachen sollen. Nur waren Ayfers Augen leblos. Sie lagen leer in ihren Höhlen, während sich Karl-Heinz schwerfällig auf Eberhard und Ayfer zubewegte wie ein dunkles Tier, das heftig atmet.
    Man konnte sehen, was er mit Ayfer machen wollte. Doch bevor er sich noch von hinten an Ayfers Körper pressen konnte, um sie mit beiden Armen zu umfassen, und ehe ich – denn diesmal wäre es mir sicherlich gelungen, auf ihn und Ayfer zuzugehen – den ersten Schritt gemacht hatte, hörten wir eine Stimme. Nicht laut, doch dafür sehr entschieden: »Ich hab hier zwei Hunde. Lasst das Mädchen los.«
    Danach ein Kläffen, Hecheln. Die Brüder gerieten in

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