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Wer sich nicht wehrt

Wer sich nicht wehrt

Titel: Wer sich nicht wehrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wildenhain
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sagen würden. Ich war noch nie so lange weg gewesen und noch niemals in ein Hafenbecken mit Benzin und Müll gefallen.
    Wahrscheinlich aber würden meine Eltern bei einer Cocktailparty sein. Nur mein kleiner Bruder würde schon in seinem Zimmer schlafen, sodass ich meine Sachen heimlich in die Waschmaschine stecken konnte. Niemand würde was bemerken. Doch bei Franco war das anders. Bauarbeiter gehen nachts nicht unbedingt auf Cocktailpartys. Deshalb kämpfte Franco verbissen mit der Zeit.
    Vielleicht fuhren wir deshalb bei Rot und auf dem Gehweg über eine Ampel.
    »Warum?«, fragte der Fahrer des Wagens, der deswegen dicht vor uns angehalten hatte. Es war ein Polizeiwagen und darum kam die Stimme des Fahrers über Lautsprecher. »Weshalb«, fragte er und ließ sein Blaulicht kreisen, »stehst du auf dem Hinterrad statt auf dem Gepäckträger zu sitzen?«
    Eine unsinnige Frage, aber Polizeibeamte mögen Fragen dieser Art, weil sie dann die Wichtigkeit ihrer Arbeit spüren.
    Regelmäßig strich das Blaulicht an meinem Gesicht vorbei und der Duft des Hafenbeckens tauchte mein Gehirn in einen Nebel. Aber Franco gab nicht auf. Unterstützt von zwei fuhrwerkenden Armen erklärte er dem dickbäuchigen Beifahrer, dass es ziemlich schwierig sei, nicht mit der Hose in die Speichen zu geraten, wenn man auf dem Gepäckträger eines Fahrrads sitzt.
    »Rot«, erwiderte der Mann, »es war an der Lichtanlage rot.«
    Lichtanlage, das hieß: Ampel. Für die ganz normalen Menschen. Nicht für Polizeibeamte.
    »Das ist richtig«, sagte Franco, »aber sehn Sie, wir sind nass. Darum wollten wir nach Hause. Schnell, und nirgends kam ein Auto.«
    »Aber«, fuhr der Beifahrer dazwischen, »auf dem Bürgersteig.«
    »Das ist richtig«, sagte Franco, »aber sehn Sie, unser Rad hat kein Licht und auf der Straße, auf der Fahrbahn fahren Autos. Da die Autos auf der Fahrbahn« – Franco kam jetzt durcheinander – »fahren müssen, auf der Fahrbahn, und uns ohne Licht, die Autos, dann nicht sehn …«
    »Nicht sehn!« Nun mischte sich der Fahrer ein.
    »Kein Licht!«, fügte der Beifahrer hinzu.
    Beide nickten streng und nachdenklich und lange, als ob jemand einen unsichtbaren Hebel angestoßen hätte. Blasses Blinken rutschte ruhig über Jalousien und Scheiben. Unbeirrt kreiste das Blaulicht, als der Fahrer einen Kugelschreiber zückte. Wir standen mittlerweile ein Stück vom Polizeiwagen entfernt.
    Der Fahrer fragte Franco nach Namen und Adresse.
    Niemand schien darauf zu achten, ob sich irgendwer dem Wagen nähern würde. Während der Mann ungeduldig mit dem Kugelschreiber Krakel ins Notizheft malte, druckste Franco noch herum, nannte eine Straße, die es gar nicht gab.
    Uns war es egal, ob jemand an der Tür des Streifenwagens rütteln würde. Nicht jedoch den Polizeibeamten. Dennoch sagte ich kein Wort, als Karl-Heinz und Eberhard unvermutet hinter einer Häuserecke auftauchten und aufs abgestellte Auto mit dem kreisenden Blaulicht zugingen.
    Beide wirkten so, als hätten sie noch gerade tote Schweine aufgeschnitten, ausgenommen, Berge von Koteletts gesäbelt, Schädel- oder Schenkelknochen mit der Axt zertrümmern müssen und als sei dabei das Blut bis in ihr Gehirn gestiegen.
    Ich dachte: Auch die noch! Aber Franco redete wie ein Wasserfall über Verkehrsprobleme.
    Doch während sich der Fahrer, sogar der dicke Beifahrer dem Fahrrad widmeten, dem Licht, das sowieso nicht funktionierte, bückte sich Eberhard und stieß etwas, das dünn und spitz sein musste, erst in die beiden Vorderreifen, dann in die hinteren.
    Der Streifenwagen schien zu schrumpfen, ging ganz allmählich in die Knie. Bedächtig blinkte weiterhin das Blaulicht. Die Polizisten drehten sich, so schnell sie konnten, um. Sie hörten, wie die Luft entwich. Aber Karl-Heinz und Eberhard waren schon losgelaufen.
    Der Fahrer rief: »Was tut ihr da?«
    Der Beifahrer: »Bleibt stehen, sofort!«
    Aber die Brüder rannten.
    Ich boxte Franco in die Seite, der dastand wie ein Eisenpfahl und nur den Mund aufsperrte.
    Und als die Polizeibeamten die Brüder unschlüssig verfolgten, griff ich sein Rad und er sprang auf. Ich stemmte mich in die Pedale. Die Polizeibeamten riefen. Um uns herum war immer noch der strenge Duft des stillgelegten Beckens, der Kotze und des schillernden Benzins.

13
    Ein Weg, welliges Buckelpflaster, Mauern an beiden Seiten, Gleise. Wir rutschten mit dem Rad in eine Schiene und kippten, als der Reifen platzte, um.
    Der Knall war wie ein Schuss. Wir horchten, ob

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