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Wer sich nicht wehrt

Wer sich nicht wehrt

Titel: Wer sich nicht wehrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wildenhain
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letzten Mal im Lagerraum des Obstladens getroffen.
    Ich versuchte mir die Einzelheiten des Lagerraums noch einmal einzuprägen, aber es war zu spät. Vor mir gingen Kai und Lisa, ohne mich noch zu bemerken, die Treppe hinunter zur U-Bahn. Und während Sürel zwei seiner türkischen Freunde mit Wangenkuss begrüßte, fassten Kai und Lisa einander an der Hand.
    Alles geschah auf einmal, ohne dass ich es ändern konnte. Schon zog Franco mich am Ärmel hinter sich her, als Ayfer noch mal nachhakte: »Kommst du jetzt mit zu Viktor oder nicht?«
    Zwischen uns wuchsen wie zwei Schatten die Brüder aus dem Pflaster hoch. Viktor stand neben ihnen, blutbeschmiert. Und während ich die Augen schloss, um die Gestalten zu verjagen, fiel mir auf, dass Ayfer mich dies eine Mal vor eine Wahl gestellt hatte: besuchen oder nicht.
    Trotzdem gab ich keine Antwort, schüttelte nicht mal den Kopf, folgte nur Franco, der mich fortzog, und hörte Ayfers ärgerliche Stimme, als sie mir nachrief: »Ach so ist das!« Und dann ein zweites Mal: »Ach so!« Ihre Stimme gab mir einen Stoß, doch Franco zerrte mich immer weiter hinter sich her und sagte leise: »Komm schon, Alter, komm mal mit.«
    Er grinste mir verschwörerisch zu und zwinkerte dabei mit den Augen. »Los, Alter, lass die andern mal machen. Ich zeig dir was, das wird dich überraschen. Das hast du sicherlich noch nie gesehn.«

11
    Die Straßen waren schlecht beleuchtet. Der Bürgersteig war schmal. Die Bäume wirkten entlang der unverputzten Mauer, hinter der hin und wieder ein Güterwagen polternd über die Abstellgleise rollte, auffällig kümmerlich und krank.
    »Das kommt vom Altöl«, erklärte mir Franco, »das sie auf der andern Seite in den Boden laufen lassen.«
    Ich fragte mich, was er an dieser Gegend interessant fand. Wenn man einen Menschen traf, schaute der, als fürchte er seinen eigenen Schatten, und lief schneller. Vielleicht, weil wir auf Francos Rad so eigenartig aussahen: Franco fuhr, während ich mürrisch das Gleichgewicht zu halten suchte, beide Hände fest verkrallt in seinem ausgebleichten T-Shirt. Ich stand auf dem Gepäckträger. Franco trat und schwitzte.
    Manchmal war mir sein Interesse an den Brüdern unheimlich. Es kam mir vor, als wollte er so sein wie sie. Er hatte mir erzählt, wir würden sehen, wie sie arbeiten. »Die verdienen richtiges Geld!« Mir war das egal. Ich wünschte mir, ich wäre nicht mitgekommen. Aber nach dem Treffen im Lagerraum des Obstgeschäfts waren plötzlich alle ihrer Wege gegangen, nur Franco hatte mich einfach mit sich mitgezogen.
    »Und was wollen wir dann dort tun?«
    Ich beugte mich nach vorn und brüllte. Franco strampelte, als habe er die Frage nicht verstanden. Ich beugte mich noch tiefer zu seiner Baseballkappe runter und brüllte ihm denselben Satz noch mal ins Ohr. Das Fahrrad schwankte. Franco fuhr zusammen. Wir kollidierten mit dem Buschwerk, das Bürgersteig und Mauer trennte. Ich hängte mich an Franco. Wir fielen mit dem Fahrrad langsam um.
    »Blödmann!« Er saß neben dem Lenker, sah mich an und murmelte: »Was soll die Frage?«
    »Weil …«, sagte ich und zögerte, »was woll’n wir noch von Karl-Heinz und Eberhard? Von ihrem Alten, was weiß ich? Die Brüder kommen so schnell nicht wieder. Die sind erst mal vom Unterricht ausgeschlossen! Und wenn wir etwas Schwein haben, fliegen sie ganz von der Schule!« Ich rappelte mich auf. »Dann sind wir die beiden endgültig los.«
    Franco musterte mich lange, zupfte Gras von seiner Hose, die er sich vor ein paar Tagen – »siehst du, Alter, echt mit Schlag!« – in irgendeinem Keller gekauft hatte und seitdem trug, grinste kurz und wisperte: »Eins: Du wirst dich irren. Zwei: Es wird dich interessieren. Drei: Du bist mein Kumpel, deshalb kommst du mit.«
    Ich sah Franco zweifelnd an: Das Wort Kumpel klang nach Bau, nicht nach Freundschaft. Trotzdem klopfte ich mich ab, half ihm seinen Fahrradlenker zurechtzubiegen und stieg, als er nickte, wieder hinten auf.
    »Es riecht hier seltsam«, sagte Franco. Vor uns stand ein flacher Bau. Dach und Wände waren aus Wellblech. An der Rückseite Container. In den Trögen Innereien, Reste. Hinter uns ein Hafenbecken. Wir hockten, verdeckt von einem Schuppen, nah den großen Eingangstoren, die sich gerade öffneten. Das Fahrrad hatten wir auf der andern Seite des Hafens gegenüber dem Schlachthof in einem Gebüsch versteckt.
    Ich senkte meine Stimme: »Du wolltest doch hierher, nicht ich. Außerdem, was gibt es hier zu

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