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Wer sich nicht wehrt

Wer sich nicht wehrt

Titel: Wer sich nicht wehrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wildenhain
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nachgedacht. Sie dachten sicher selten nach. Und als die Polizeibeamten uns angehalten hatten, waren wir in den Augen von Karl-Heinz und Eberhard wohl plötzlich tough und cool . Und jetzt standen wir hier in ihrer Küche. Und irgendetwas war ihnen daran nicht angenehm.
    Vielleicht hatten sie erwartet, dass jemand da sein würde. Vielleicht – ich überlegte – war es so was wie ein Prinzip von ihnen: Weil ihr hier seid, bleibt ihr auch, basta.
    Franco und ich fühlten uns unbehaglich. Der Teppich in der Diele war so hell, dass man die Flecken von unsern Schuhen trotz des dämmrigen Lichts ziemlich deutlich sehen konnte.
    »Scheiße«, sagte Franco leise.
    Und ich fragte, während ich mich behutsam umsah: »Wo ist denn eure Mutter?«
    »Liegt vielleicht im Bett«, knurrte Karl-Heinz.
    Er sah uns an, als ob damit alles gesagt sei, was es zu sagen gab. Deshalb schwiegen wir.
    Franco setzte sich umständlich auf einen hellen Stuhl. Plötzlich wirkte der Stuhl in dieser Hochglanzküche irgendwie dünn und zerbrechlich.
    »Leg lieber Papier drunter! Deine Hose ist bestimmt noch nass!« Eberhard reichte Franco, bevor er die Sitzfläche berührt hatte, hastig ein Stück alte Zeitung. Schob es ihm unter den Hintern. Seltsam war, dass die Seiten säuberlich gefaltet waren.
    »Danke«, sagte Franco überrascht. Dann fragte er: »Was ist jetzt eigentlich mit den Klamotten? Zum Wechseln.« Und wieder sah ich, dass er sich Sorgen machte wegen seines Vaters.
    Die Brüder zögerten und pulten verlegen in den Ohren, kratzten sich am Hals.
    »Die Türen sind zu«, knurrte Karl-Heinz.
    »Zu beiden Zimmern«, fügte sein Bruder vorsichtig hinzu. »Wir müssen warten.«
    »Schicksal!«, brummte Karl-Heinz. Und wieder gab er uns zu verstehen, dass damit erst mal alles gesagt sei, fertig, aus.
    Franco war verblüfft und schwieg.
    Weil die Brüder merkten, dass wir uns nicht wohlfühl-ten, öffneten sie den Kühlschrank und boten uns ein Bier an.
    Franco trank schnell. Ich nippte nur. Mir war die Küche unheimlich. Ich hatte das Gefühl, es könne nur eine Hexe darin wohnen, auch wenn ich wusste, dass es keine Hexen gibt. Aber als ich mich umsah, war ich mir nicht mehr so sicher. Denn die ganze Ordnung wirkte nicht echt, eher wie eine Falle. Als ob man irgendjemandem etwas vorgaukeln möchte.
    Ich hatte mir die Wohnung völlig anders vorgestellt. Unaufgeräumt und schmuddelig. Mit dreckigem Geschirr und alten Sachen. Mit staubverschmierten Fensterscheiben, leeren Flaschen auf den Tischen, alten Zeitungen in den Ecken, durchgetretenen Dielen, löchrigen Gardinen oder sogar Spinnweben. Aber nichts von dem.
    Und gerade deshalb fühlte ich mich unwohl. Es kam mir vor, als ob hinter den Türen irgendetwas lauerte, als ob in den beiden Zimmern etwas vorbereitet würde, während wir dasaßen. Etwas, das nicht gut war, ganz im Gegenteil.
    Weil mir die Atmosphäre immer unheimlicher wurde, hätte ich die sonderbare Küche lieber schnell verlassen. Aber das war nicht mehr möglich. Ich wusste es. Obwohl ich an dem Bier, das vor mir stand, nur nippte, wurde mir langsam schwummrig. Die Brüder wurden unruhig, redeten aber trotzdem nicht. Franco, der die Stille nicht ertrug und dem die Frage sicher schon auf der Zunge brannte, fragte die Brüder noch mal nach dem Schlachthof.
    Sie antworteten einsilbig. Wichen aus, blieben wortkarg. Wirkten, als würden sie auf etwas warten.
    Franco bohrte trotzdem weiter. Tat, als ob er die Janetzkis schon seit Jahren kennen würde. »Warum seid ihr da? Ich meine, wo ihr doch erst siebzehn seid? Siebzehn – oder sechzehn?«
    »In ein paar Wochen siebzehn«, sagte Eberhard.
    »Ja, und warum dürft ihr dann … ? Ich meine, alles. Das mit den Schweinen. Überhaupt: arbeiten.« Franco kam mit seinen Sätzen durcheinander, weil die Brüder bloß auf ihre Bierflaschen starrten.
    Endlich knurrte Karl-Heinz: »Wir dürfen das. Wegen unserm Vater. Der gibt uns da für achtzehn aus. Bei seinen Kollegen.«
    »Schon … ja schon, aber warum … wollt ihr das?«
    »Wir wollen nicht. Wir sollen.«
    »Und warum sollt ihr?«
    »Sollen ist nicht richtig: müssen.« Eberhard blies in die Flasche. Es gab einen hohlen Ton.
    »Müssen«, murmelte Karl-Heinz. »Meistens müssen wir.«
    Franco fuhr sich durchs Gesicht, das vom vielen Bier schon rot war. »Also«, sagte er, »noch mal: Durch euren Alten dürft ihr das? Weil der dort arbeitet?«
    »Genau.«
    »Und wieso müsst ihr?«
    »Auch wegen ihm.« Eberhard öffnete die nächste

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