Wer sich nicht wehrt
erwiderte ich nur: »Musst du nicht.« Und während ich ihn stützte, murmelte ich leise: »Denn jetzt sind wir beide quitt.«
27
Ich schrieb in mein Notizheft: Franco ist besonders eifrig, weil er sich und alle andern erst noch überzeugen muss, dass er es – als Spanier! – ernst meint mit dem, was er gegen Viktor tut.
Danach klappte ich das Heft zu und schloss es in den Schreibtisch.
Alles, was ich aufgeschrieben hatte, stellte sich als richtig raus. Doch weil sich die Ereignisse trotz der kurzen Herbstferien zu überstürzen begannen, kam ich eine Zeit lang nicht mehr dazu, das Heft noch einmal aus der Schublade zu holen.
Und als alles vorbei war und Viktor nicht mehr da, erschien mir ein Notizheft sinnlos, weil sich nichts ändert, wenn man nur darüber schreibt.
Sürel hörte von dem Vorfall mit den Schweineinnereien erst am letzten Schultag vor den Herbstferien. Und vielleicht lag es nur daran, dass er glaubte, Viktor würde diesen Zen-Quatsch Klasse finden und er, Sürel, müsse ihm deshalb beistehen oder helfen. Jedenfalls entschloss er sich zu handeln.
Ich erfuhr von dem, was passierte, erst in den Ferien. Aber dann erzählte Sürel es mir und Ayfer ganz genau. Er hatte nach Karl-Heinz gesucht und sich wegen des Kung-Fu-Trainings auch genügend stark gefühlt. Doch traf er weder Eberhard noch Karl-Heinz bei deren Mutter an. Also ging er zu Franco.
Franco war bei seinem Vater auf der Baustelle und trank mit den Bauarbeitern Bier. Als Sürel mittags ankam und zu Franco sagte: »Los, wir gehn in’ Park und machen es in einem Einzelkampf aus. Danach lässt du den Viktor dann zufrieden!«, grinste Franco, dem das Bier schon hinter den Augen hockte und die Haut bis hoch zur Stirn hatte rosig werden lassen: »Nee, du, Alter, lass ma gut sein, aber mit Kanaken will ich heute nicht …!«
Die Bauarbeiter lachten.
Wahrscheinlich hätte Sürel erfolglos abziehen müssen, wenn nicht Francos Vater, ein Tier mit ungeschlachten Händen, gegrunzt hätte: »Junge, den pustest du doch locker um! Der legt sich, wenn du einatmest, gleich quer vor deine Lunge!«
Und weil sich Franco vor seinem Vater und den anderen Kollegen, die vom Gerüst aus zuschauten, nicht blamieren wollte und weil er sich, wie immer, vor allem davor fürchtete, als Feigling dazustehen, sprang er auf, klopfte den Zementstaub aus der Hose und griff unvermittelt an.
Doch Sürel hatte beim Karate einiges gelernt. Und weil Franco durch das Bier langsam war und kurzatmig, blieb er am Ende auf einem Haufen nassem Kies und grobem Sand liegen wie ein Käfer auf dem Rücken.
Die Augenbrauen bluteten. Auch die Nase war zerschlagen und die Lippen aufgeplatzt. Er schaffte es nicht mehr, sich zu erheben. Die Bauarbeiter hatten, als sie sich abwandten, gebrummt: »Tja, ist wirklich nicht viel los mit deinem Sohn!« Dann warfen sie die Büchsen, die sie ausgetrunken hatten, abfällig neben Francos Kopf aufs Pflaster, sodass es in seinen Ohren unangenehm gescheppert haben muss.
Einige kratzten sich am Hals. Einige spuckten in den Staub. Und Francos Vater hatte wohl gesagt: »Na, gut, Kanake, dieses Mal hast du gewonnen. Aber lass dich hier nie wieder sehn!«
Kurze Zeit später schlug eine Gang Sürel im Stadtpark zusammen. Es musste eine Gang sein, dachte ich, die Karl-Heinz oder Franco kannten. Ich war mir sicher, dass Sürel auch so etwas annahm.
Doch blieben das Vermutungen. Er sagte, als wir ihn im Krankenhaus besuchten: »War ähnlich wie damals im Park, nur dauerte es länger. Und außerdem sind es mindestens acht gewesen und eine Viertelstunde hab ich mich noch gewehrt!« Auf diese Viertelstunde schien er ziemlich stolz zu sein.
Man konnte nicht erkennen, ob es an den acht Mitgliedern der Gang gelegen hatte oder ob die Viertelstunde ausschlaggebend gewesen war: Jedenfalls war Sürels Gesicht nur noch ein verschorfter Klumpen.
Er erzählte uns, dass er sich, als er das erste Mal nachts aufgestanden war, um vorsichtig zur Toilette zu humpeln, im Zimmer mehrfach an den Schränken hatte abstützen müssen. Auf dem Gang war er gekrochen, weil ihm der Abstand der Wände unendlich groß vorgekommen war. Auf der Toilette hatte er sich schließlich im Spiegel angesehen und war sich mit den Fingern durchs Gesicht gefahren, um sicher zu sein, dass das, was er sah, auch wirklich zu ihm gehörte.
»Hat Glück gehabt«, sagte der Arzt zu Ayfer, »nichts gebrochen. Innen nichts verletzt. Nur seine Finger sind verstaucht und eine Schulter wurde ihm wohl
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