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Wer sich nicht wehrt

Wer sich nicht wehrt

Titel: Wer sich nicht wehrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Wildenhain
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Kaffeeautomaten mit einer Taste für Kakao.
    An diesem Nachmittag jedoch kam Ayfer mit gesenktem Kopf und quer durch dünnen Nieselregen über den Schulhof gelaufen. Und während wir uns unter den Balkonen zusammendrängten, um nicht nass zu werden, bewegten sich Viktor und Ayfer genau aufeinander zu.
    Zuerst konnte man meinen, dass es ein Zufall sei. Doch dann erkannte jeder, der hinsah, dass Viktor nur auf Ayfer gewartet hatte, dass er mit seinem roten Regenschirm die Runden abgezirkelt hatte, um am Schluss genau mit Ayfer zusammenzutreffen. Und da man sehen konnte, dass er sich keine Mühe gab die Absicht, Ayfer abzupassen, vor unsern Blicken zu verbergen, spürte man selbst auf die Entfernung, wie gleichgültig ihm mittlerweile alles war.
    In den Tagen nach der Wahl hatte er zunehmend zu schlurfen begonnen, heftiger noch als vorher, seine Schultern fielen jeden Morgen mehr herab. Meine Mutter hätte gesagt: »Junge, lass dich nicht so hängen!« Aber weil bei Viktor nur die Frau aus Thailand war und die Porzellangeparden, gab es keinen, der ihm so was hätte sagen können.
    Er hielt den Regenschirm ein bisschen höher und schlurfte mit gebeugtem Kreuz, dennoch eigenartig hastig, auf Ayfer zu, die ihn erst bemerkte, als er sie ansprach.
    Später erzählte sie mir, was Viktor sie gefragt hatte. Doch wäre das nicht nötig gewesen, denn ich konnte auch so erkennen, was er von ihr wollte. Es gibt dafür auch einen Ausdruck, der passt normalerweise nicht für Schüler. Für Viktor passte er in diesem Augenblick genau: Um-die-Hand-Anhalten. Es war die Art, mit der er sich Ayfer unsicher näherte. Plötzlich ergab sich so ein Bild: als ob ein Mann bei einer Frau um ihre Hand anhält.
    Viktor stand vor ihr. Beide standen unter dem roten Regenschirm. Viktor ein wenig vorgebeugt, als würde er im nächsten Augenblick einfach in sich zusammensacken. Ayfer sehr gerade, überrascht und wortlos, weil sie vor Staunen nichts erwidern konnte. Doch dabei ganz im Trocknen, weil Viktor seinen Regenschirm ordentlich über Ayfer hielt, sodass das Wasser von dem Schirm in seinen Nacken tropfte, nicht in ihren.
    Vielleicht, dachte ich später, hat er sich an die Fete erinnert, den Augenblick, als Ayfer zu ihm hingegangen war. Als sie ihn aufgefordert hatte mit ihr zu tanzen, obwohl sie das Mädchen war und er der Junge. Vielleicht hatte Viktor deshalb erwartet, dass sie Ja sagen würde, obgleich er nicht so aussah, ganz im Gegenteil. Er sah noch nicht einmal aus wie jemand, der den richtigen Zeitpunkt verpasst hat oder eine Regel, die jeder kennen müsste, ignoriert. Er sah aus, als habe er schon lange vorher aufgegeben, als wolle er nur noch von ihr darin bestätigt werden, wie mickrig er inzwischen in ihren Augen war. Obwohl er das schon wusste und sich auch damit abgefunden hatte.
    Wahrscheinlich ahnte Ayfer das sofort und verharrte deshalb bewegungslos, schweigend und sehr aufrecht an der Stelle, wo Viktor sie aufgehalten hatte. Auch dann noch, als es schon zur Stunde läutete.
    Alle drängten ins Gebäude. Ich folgte nur zögernd, wandte mich, obwohl ich wusste, wie die Antwort Ayfers ausfallen würde, auf dem Treppenabsatz um, hielt mich an der Schultür fest, ehe sie sich schloss.
    Es läutete ein letztes Mal.
    Mir kam es vor, als riefe der grelle Ton nach Viktor, als müsse er nur darauf hören, um eine Last, die ihn sehr bedrückte, von seinen Schultern abzuwerfen, als müsse er einfach nur kommen und alles wäre für ihn schlagartig leichter als zuvor.
    Das Schulgebäude schien zu warten. Doch Viktor kam natürlich nicht. Und Ayfer tat auch nichts, um ihm zu helfen.
    Beide blieben auf dem Schulhof unter dem roten Regenschirm, umgeben von milchig grauer Feuchtigkeit, wortlos voreinander stehen. Als seien sie verlorene Pilze, von denen nur noch einer einen Stiel besaß, an dem der feine Regen langsam herunterlief.
    Und so, als falle es ihr schwer, weil etwas ihren Hals festhielt, bewegte Ayfer ihren Kopf. Sie schüttelte ihn einmal, dann ein zweites Mal.
    Danach geschah etwas, das aussah, als ob ein Hund im Kampf sich einem andern Hund, der stärker ist, ergibt: Viktor stellte den Regenschirm, als könne der zerbrechen, bedächtig neben Ayfer auf dem von feiner Feuchtigkeit bedeckten Schulhof ab.
    Als ich am späten Nachmittag erschöpft vom Sport nach Hause kam, trug ich den Vorfall ins Notizheft ein. Mein Bruder klopfte währenddessen von außen an die Zimmertür. Er hämmerte daran herum. Doch trotz des Lärms fiel mir noch

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