Wer sich nicht wehrt
ausgekugelt.«
Wir hockten erst vor Sürels Bett und wussten nicht, worüber wir uns mit ihm unterhalten sollten, nachdem er uns die Schlägerei haarklein geschildert hatte. Ayfer sagte später, als wir, weil er schlafen wollte, auf dem Gang entlangspazierten: »Es ist ein bisschen so wie damals – als ich zweimal bei Viktor war wegen seiner Wange. Es war, als wäre man gefangen.«
Ich wandte ein: »Du meinst befangen?«
»Befangen, von mir aus … weil dort das Bett steht … und dann sind auch noch andere im Raum.«
»Bei Viktor auch?«
»Bei Viktor nicht. Der hatte einen Fernseher.«
»Fernseher?«
»… und lag einzeln.«
Wir sahen uns die Bilder an, die wie besonders bunte Kleckse an den schrecklich weißen Wänden hingen. Und plötzlich kam es mir so vor, als sei ich Ayfer nie so nah gewesen.
Später kam Viktor und er war noch wesentlich befangener als jeder von uns beiden.
Er schämte sich. Vor Ayfer noch immer wegen seines Antrags. Vor Sürel, weil der ihm hatte helfen wollen. Vor mir, weil er nur auf dem Rasen gekniet hatte, um trocken vor sich hin zu würgen, ohne sich zu trauen das Zeug aus seiner Hose zu entfernen, auch als Karl-Heinz und Franco schon längst verschwunden waren.
Er sagte wenig, brachte Blumen, sogar Konfekt und ging bald wieder, als müsse er von nun an sein Leben lang mit gebückten Schultern durch irgendwelche weißen Gänge schleichen.
Ich murmelte: »Ich mag ihn nicht!« Und staunte dann, wie leicht es war, einfach etwas zu sagen – und gerade so was.
Sürel versuchte auch zu sprechen, doch kam jetzt nur ein leises Nuscheln. Es schien, als ob die Lippen schon wieder angeschwollen waren. Wahrscheinlich hatte er am Anfang unseres Besuchs zu viel geredet. Wir halfen ihm sich aufzusetzen. Er nuschelte: »Viktor wird ja wohl bald weg sein aus der Klasse. Vor Weihnachten noch, hat er mir gesagt.«
»Na ja«, meinte Ayfer. Dann fragte sie vorsichtig, weil sie wusste, wie empfindlich Sürel war: »Denkst du immer noch, man sollte so was in Einzelkämpfen lösen – Mann gegen Mann?«
Wir schwiegen. Selbst das Schweigen wirkte in diesen Räumen weiß.
»Diesmal«, hauchte Sürel, »zeig ich sie an.«
28
Mädchen und Kaffeeautomaten traten in den Hintergrund, wir trafen uns mit Freunden und einigen der Klassensprecher noch während der Ferien. Wir redeten über Karl-Heinz und ob man von der Schule, von den Klassensprechern aus etwas gegen ihn machen sollte, auch gegen Franco. Oder ob man sich lieber auf sich selbst verlassen sollte, auf die eigene Stärke.
Die Stimmung wurde hitzig. Mittendrin sagte Ayfer etwas, das so klang, als würde Viktor vor der versammelten Klasse sprechen. Aber wenn man genauer hinhörte, merkte man doch, dass es ein bisschen anders klang. Und dieser kleine Unterschied war wichtig.
Nur erkannten den nicht alle, die an dem Treffen teilnahmen.
»Nein«, sagte Ayfer nachdrücklich, »es ist nicht gut, gleich zuzuhauen. Wir müssen versuchen, so lange« – darin bestand der Unterschied – »wie es geht, etwas anderes zu machen.«
Einige murrten. Vor allem Sürels Kung-Fu-Freunde, die auch mit in der Runde saßen. Sie mochten etwas anderes nicht. Sie fragten, was Ayfer damit meine.
Ayfer antwortete zögernd: »Wir müssen mit den Lehrern reden, denn anders funktioniert es nicht!«
Die Runde wurde unruhig. Sehr viele erwiderten: »Mit Lehrern redet man nicht.«
Wahrscheinlich dachten sie Ayfer so davon abzuhalten, nach den Ferien mit den Lehrern über Karl-Heinz und Franco zu sprechen. Aber das lag nur daran, dass sie Ayfer nicht kannten, nicht so gut wie ich.
Es fand noch ein einziges Treffen statt, diesmal im Lagerraum des Obstgeschäfts von Ayfers Eltern. Bei diesem Treffen wurde deutlich, dass sich die Stimmung gewandelt hatte, dass sehr viele plötzlich gegen Ayfer standen oder zumindest misstrauisch waren.
Und als sie ihren Vorschlag noch einmal wiederholte und darauf beharrte, dass eine Massenprügelei überhaupt nichts ändern würde, stand einer von Sürels Kung-Fu-Freunden auf, sah sie finster an und spuckte Ayfer vor die Füße.
Danach wandte er sich ab und verließ den Lagerraum. Und auch wenn er am Ausgang auf Trockenbohnen ausrutschte und beinah hingefallen wäre, auch wenn deshalb alle lachten und er wütend die Tür zuschlug: Dies kurze Lachen war nichts als der Versuch, die gespannte Atmosphäre, die auf der Versammlung lastete, zu lockern.
Aber das gelang nicht. Denn nachdem die Tür ins Schloss gefallen war, versickerte das
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