Wer stiehlt schon Unterschenkel: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition)
hob das Glas. »Prost, Tiny. Bruderherz.«
»Ich hatte keine Ahnung, worauf ich mich einließ. – Als ich dabei war, meinen dritten Doktorhut zu erwerben, lernte ich einen Bruder kennen. Er muß mich schon lange beobachtet und genau studiert haben, denn es dauerte nur ein paar Tage, bis er offen mit mir sprach. Ich war begeistert. Ich wollte sofort in den UNDERGROUND gehen. Er aber machte mir den Vorschlag, als Kundschafter zu arbeiten und mich als Privatdetektiv zu tarnen. – Was ist jetzt noch Tarnung, Anne, was ist inzwischen Teil von mir selbst geworden? Ich fürchte mich vor der Antwort auf diese Frage. Die Eitelkeit – ist sie wirklich nur noch gespielt? Der Wohlstand – man kann sich so verdammt schnell an ein angenehmes Leben gewöhnen. Dieses Bad, die Gemälde, Musik, die Videowelten –« Er lachte auf. »Damals konnte ich nicht mal einen echten Kaffee brühen. Und heute? Ich fürchte, es ist eine unkorrigierbare Leidenschaft geworden, zu kochen, gut zu essen, erlesene Weine und echten Whisky zu trinken. Und der Sonnenuntergang in der ’Stardust‹-Bar! Ich fürchte, Anne, ich bin durch und durch korrumpiert von diesem Leben.«
Sie legte ihm die Hand auf den Arm. »Was sollte schlecht daran sein, Freude an Essen und Trinken zu haben, was sollte Verderbliches an der Schönheit des Sonnenunterganges sein?«
»Wie viele von uns sehen niemals mehr das Tageslicht, leben seit Jahren unter der Erde oder kommen nur für einen Einsatz nach oben? Wie viele Menschen hungern, während ich schlemme. Ich kann es verdrängen, Anne, ich kann mich damit beruhigen, daß das zu meinem Image gehört, aber kann ich es vergessen?«
»UNTEN gibt es auch Küchen«, sagte sie, »und ich kenne eine ganze Reihe von Brüdern, die leidenschaftlich gern kochen. Aber ich wollte dir nicht vorschlagen, nach UNTEN zu gehen. Du bist hier wichtiger. Was ich von dir erhoffe, ist eine Idee, ein Anhaltspunkt, auf den wir nicht gekommen sind.«
»Ich? Was könnte ich besser als der Ooverall 11 ? Ich kenne weder die Umstände noch den Kreis der Verdächtigen, ihre Lebensläufe, ihre Gewohnheiten, Tagesabläufe; ich weiß doch nicht mal, wer zum Inneren Kreis gehört. Sind es noch zwölf? Ich kann nur vermuten, daß Jerome P. Jerome zum IK zählt und Ironsides – wenn sie überhaupt noch am Leben und im Lande sind. Willst du mir die Namen und Daten verraten? Na, also. Wie sollte ich klüger sein als ihr?«
»Vielleicht gerade, weil du nicht von der scheinbaren Offensichtlichkeit der Fakten beeinflußt, weil du nicht betriebsblind bist. Überlege, was du alles tun würdest, wenn du Ooverall wärst. Alle nur denkbaren Maßnahmen, Tiny, und wenn sie dir noch so verrückt vorkommen. Dann wollen wir vergleichen.«
»Ich brauche wenigstens die Informationen, die die NSA ohnehin hat und in welchem Grad sie UNTEN bekannt waren, dazu einen Kommentar, warum ihr glaubt, daß die Drossel im Inneren Kreis sitzen muß.«
»Das wird möglich sein«, versprach sie. »Ich schicke dir sobald wie möglich einen gefüllten Fisch; kann aber sein, daß ich dich nicht vorher informieren kann.«
3.
In den nächsten Tagen benutzte Timothy eine merkwürdige Technik, seinen Fisch vorzubereiten; er untersuchte zuerst mit Skalpell und Pinzette Kiemen und Schwanzflosse, löste dann vorsichtig die Augen heraus und zerlegte sie. Am vierten Tag wurde er fündig. Als er sich anschickte, den Kristall aus dem Hechtauge zu schälen, sprach der Communicator an. Timothy drückte kurz auf den Bildschirm neben dem Herd, um zu sehen, wer vor der Tür stand. Devlin!
Im ersten Reflex wollte Timothy das Auge samt Kristall hinunterschlucken, er führte es sogar schon an die Lippen, schob es dann aber wieder in die Augenhöhle des Hechts zurück, glättete die Haut mit den Fingern, schnitt den Fisch in drei Stücke und legte die in das bereitstehende Essigwasser. Devlin begrüßte ihn ausgesucht höflich. »Darf ich eintreten?« fragte er, als warte er tatsächlich auf eine Erlaubnis. »Könnte ich es Ihnen verwehren?« fragte Timothy zurück. »Es ist ein inoffizieller, fast privater Besuch, Mister Truckle. Wenn ich Ihnen ungelegen komme –«
»Kommen Sie nur herein. Ich habe nichts zu verbergen. Ich bin gerade dabei, einen Hecht zum Mittag vorzubereiten.« Er zeigte auf seine Schürze.
»Sie essen jetzt oft Fisch, nicht wahr?«
»Jeden Tag. Sollten Sie das nicht wissen?«
»Aber ja. Hier, nicht wahr? Das ist doch Ihr Mausoleum?« Devlin hatte die Hand schon auf der
Weitere Kostenlose Bücher