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Wer stiehlt schon Unterschenkel: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition)

Titel: Wer stiehlt schon Unterschenkel: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Prokop
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ausbreitete, zum Herzen zog, unter die Schädeldecke, dann schwanden ihm die Sinne; er hörte gerade noch, wie sie mit den Testfragen begann.
    2.
    Seine erste Wahrnehmung war der Geruch von Whisky. Anne hielt ihm ein Glas unter die Nase. »Trink, Tiny, du hast es hinter dir. Alles okay.«
    Als Timothy nach dem Glas greifen wollte, faßte er ins Leere. Er fühlte sich schwach und ausgehöhlt. Sie setzte ihm das Glas an die Lippen und gab ihm einen winzigen Schluck, er zerdrückte ihn auf der Zunge wie einen alten, kostbaren Wein.
    »Ganz sicher?« Er mußte das linke Auge zukneifen, um sie scharf zu sehen, er konnte die Augen nicht koordinieren. »Was, zum Teufel, hast du mit mir gemacht?«
    »Das vergeht wieder«, beruhigte sie ihn. »Wir haben dein Gedächtnis durchgeprüft. Wir können, was die NSA zum Glück noch nicht geschafft hat, alle Blockaden durchbrechen. Auch eine Hilfe von DRAUSSEN. Ich habe dich über den Quaser an einen Computer gekoppelt, der deine Erinnerungen an diese Tage abgerufen und aufgezeichnet hat. Es war so, wie du es geschildert hast, nur noch viel mehr. Ach, Tiny, du hast Dinge erlebt, von denen du hoffentlich nie etwas erfahren wirst. Keine Angst, dein Gehirn hat das abgeblockt. Aber für uns war es wichtig; wir wissen jetzt noch besser über ihre Methoden Bescheid. Versuche, dich zu entspannen. Ich muß wenigstens noch kurz ein Problem mit dir erörtern.«
    Timothy bat sie, »Schneewittchen« hereinzuholen. Dann lagen sie beide in ihren Sesseln und lauschten den Tönen, die Timothy der Sonic entlockte.
    »Wie schön«, flüsterte Anne, »wie unsagbar schön!«
    »Ich darf gar nicht daran denken, daß ich es vielleicht nie mehr erlebt hätte.«
    »Auch ich hatte Angst davor«, gestand sie. »Ich mag dich, Tiny. Ich habe um dich gebangt. Wie viele Brüder und Schwestern haben die Kammern der NSA nie mehr verlassen. Oder nur als körperliche oder seelische Wracks.«
    »Oder als Verräter.«
    »Ein Glück, daß wir jetzt den Test haben«, sagte sie, »daß diese schreckliche Ungewißheit vorbei ist.«
    Anne hatte die Augen geschlossen und die Hände gefaltet, sie preßte sie, daß die Fingerspitzen rot anliefen.
    »Ich glaube, ich bin jetzt soweit«, sagte Timothy. »Was ist das für ein Problem?«
    Sie sah ihn nicht an. »Eine Drossel«, sagte sie leise. »Eine Drossel im Inneren Kreis.«
    »Bist du verrückt?« Timothy hatte sich aufgesetzt und starrte ungläubig zu ihr hinüber.
    »Es gibt leider keinen Zweifel mehr, Tiny. Vor ein paar Wochen ist ein Bruder, den wir in die NSA geschleust haben, aufgerückt. Er entdeckte, daß regelmäßig Informationen aus dem IK an die NSA gelangen. Er konnte nicht herausbekommen, wie. Daraufhin wurden die Sicherheitsbestimmungen überprüft, immer wieder durchgetestet, verändert, verschärft; nichts hat geholfen. Seit ein paar Tagen ist klar, warum: Der Verräter muß ein Mitglied des IK sein. Ich gehöre zum Komitee für Sicherheit, Tiny. Wir sind am Ende mit unserem Latein.«
    »Und wie sollte ich euch helfen? Ich habe doch keine Ahnung, wie es jetzt UNTEN aussieht. Wie viele Jahre ist es her, daß ich zum letztenmal da war –« Er sah sie prüfend an. »Meinst du, ich soll meine Zelte hier abbrechen?«
    »Würde es dir schwerfallen?«
    Timothy griff nach der Whiskyflasche, sah aber erst zu Anne, bevor er sich eingoß. Sie nickte, auch als er ein zweites Glas auf den Tisch stellte.
    »Ich habe in den letzten Tagen viel darüber nachgedacht. Ich habe viel Zeit gehabt, über Timothy Truckle nachzudenken, Bilanz zu ziehen. Was ist aus mir geworden? Du hast ja keine Ahnung, Anne, was ich einmal für ein Feuerkopf gewesen bin. Weißt du, was meine Leidenschaft war? Bomben. Als ich meine erste Bombe bastelte, war ich gerade zehn. Ich wollte meinen Studiomaten sprengen. Zwei Jahre später gelang es mir. Meine Eltern haben das damals vertuscht. Es muß sie ein Vermögen gekostet haben. Ich weiß nicht mehr, wann und von wem ich zum erstenmal von ’Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit‹ hörte, ich war noch nicht vierzehn, und ich wußte nicht, was das wirklich bedeutete, aber die Worte faszinierten mich. Ich schwor mir, das sollte mein Lebensziel sein. Ich träumte davon, eines Tages Krieg gegen die Paläste zu führen; wahrscheinlich habe ich nur deshalb so besessen gelernt und studiert. Und heute? Heute lebe ich selbst in einem dieser Paläste. Timothy Truckle, der Stardetektiv der Big-Bosse, der Gourmet, der Snob – Was ist aus mir geworden?«
    Anne

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