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Wer stiehlt schon Unterschenkel: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition)

Titel: Wer stiehlt schon Unterschenkel: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Prokop
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»Ich mußte erst dahinterkommen, daß du dich eingeschläfert hast«, sagte er, »und dann Napoleon beauftragen, dich wieder zurückzuholen. Du hast dich nicht einmal abgemeldet.«
    »Aber ich hatte dir Nachricht gegeben, wie es ausgegangen ist«, verteidigte sich Timothy. »Habe ich nicht das Recht, mich auszuschlafen?«
    »Das hast du. Doch woher nimmst du das Recht aufzugeben? Und woher das Recht, dich gehenzulassen?«
    Timothy hatte Lust abzuschalten. Aber er wußte, daß er den Notruf für höchstens dreißig Minuten blockieren konnte, dann hätte er den Großen Bruder wieder am Hals.
    »Was soll ich denn noch tun?« fragte er mutlos.
    »Ich weiß es nicht. Aber wir haben noch fast vierzehn Tage Zeit. Ausreichend für eine echte Chance. Also, mach dich munter und gehe an die Arbeit. Sei vorsichtig. Du wirst überwacht. Von Privatdetektiven. Ich kann dir aber noch nicht sagen, wer sie auf dich angesetzt hat.«
    Timothy brühte Kaffee, dann ging er zu Napoleon und sagte: »Also, mein Lieber, noch einmal von vorne.«
    Aber er setzte Napoleon nicht in Betrieb. Er legte sich hin und starrte an die Decke. Irgendwann schlief er wieder ein. Irgendwann wachte er auf. Er spürte Hunger, aber er fand nicht genug Energie, sich etwas zu kochen. Er kaute Zwieback! Dann dröhnte wieder der Notruf. Timothy meldete sich erst, als die Frequenz unerträgliche Höhen erreicht hatte. Es war nicht der Große Bruder, es war Daniel Shopenhower.
    »Entweder«, sagte er, »du läßt mich in zehn Minuten in deine Wohnung, oder ich gebe Schneewittchen einem anderen.«
    Innerhalb von fünf Minuten hatte Timothy einen Platz für die Sonic frei gemacht. Er lud Daniel nicht ein zu bleiben, er bot ihm nicht einmal einen Schluck an.
    »Kann ich dir helfen?« fragte Daniel besorgt.
    Timothy verneinte.
    »Jemand anderes?«
    Timothy schüttelte wieder nur den Kopf.
    »Dann gehe ich jetzt also –«
    »Ja. Ich melde mich.«
    Daniel stand noch einen Augenblick unentschlossen, bevor er ging. Dann stellte sich Timothy vor die Plastik, näherte sich ihr bedächtig, umkreiste sie, zog ihre Konturen mit den Fingerspitzen nach, zart, als streichle er jemanden, ließ seine Hände im Takt ihres Pulsierens vor- und zurückgleiten, lernte, die Sonic zu dirigieren, die Töne zu lenken, sie nach Wunsch klingen und singen, donnern und hauchen, klagen und schluchzen, jubeln und dröhnen zu lassen. Schließlich legte er sich mit dem Kopf unter die Goldfadenkugel, und sie schien auf seine Gedanken zu reagieren, ließ ein zartes Tongespinst erklingen, das in Timothy die Vorstellung von einem unendlichen Raum weckte, in dem er von einer Ewigkeit zur anderen schwebte.
    Als er zu sich kam, entdeckte er überrascht, daß nur eine Stunde vergangen war. Er fühlte sich frisch und munter. Tatendurstig. Und hungrig. Er verdrückte ein immenses Frühstück, dann legte er sich in seinen Sessel und schmiedete Pläne. Er zog seinen mausgrauen Anzug an und färbte sein Haar gelbbraun, mit einem leichten Schimmer Grün. Sein Gesicht sah grau und schlaff aus, trotzdem vertiefte er die Augenschatten. So fuhr er hinauf in die »Stardust«-Bar. Der Mixer sah ihm besorgt entgegen, als er die kurze Strecke bis zum Tresen kaum zu schaffen schien, und hielt die Hände schützend zu Timothys Seiten, während der Barhocker hinauffuhr.
    Timothy ging schon nach zehn Minuten. Er rief einen befreundeten Arzt an und verabredete, daß der ihn zweimal täglich besuchen solle und jedermann die Auskunft erteilen, Timothy sei sehr krank. Gleiche Nachricht gab er dem Communicator ein. Man möge von Anrufen und Besuchen absehen. Danach machte er sich an die Arbeit.
    Er fragte Napoleon ab: Welche Informationen haben wir nur einmal durchgesehen? Welche Informationen wurden im ersten Durchgang als unwesentlich ausgesondert? Welche Informationen wurden als axiomatisch abgelegt? Welche wurden nur statistisch erfaßt? Er ließ sich noch ein paarmal die wenigen Fakten über Arribert Blacksmith vorspielen, diskutierte sie unter den verrücktesten Aspekten mit Napoleon. Ohne Ergebnis.
    Vielleicht, dachte er, wenn ich selbst auf die Suche hätte gehen können, vielleicht hätte ich etwas entdeckt, was ein anderer übersehen mußte, zumal die Rechercheure nicht genau wußten, worum es ging. Er überlegte sogar, ob er Smiley Hepburn heranziehen sollte, verwarf den Gedanken aber wieder. Die SOLIDAD hatte sicher alles abgegrast. Immer wieder diskutierte er mit Napoleon, wo in dem Dunkel zwischen den wenigen Dats

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