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Wer stiehlt schon Unterschenkel: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition)

Titel: Wer stiehlt schon Unterschenkel: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Prokop
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Stunde Arribert Blacksmith bei offensichtlich bester Gesundheit aus seinem Gefrierschlaf geholt worden war.
    9.
    Timothy schaltete den Spectomaten schon vor Beginn der Direktübertragung aus dem Apollo-Saal an. Er wollte keine Minute verpassen. Während das Werbe- und Nachrichten-Mix lief, warf er noch einmal einen Blick in den Spiegel. Er war zufrieden mit sich.
    Dann verfolgte er mit Spannung und bissigen Kommentaren den Auftritt von Arribert Blacksmith. Dulles hatte recht gehabt. Nie war wohl ein Mensch seinen Bildern so ähnlich gewesen wie dieser Mann aus den inzwischen sattsam bekannten Fotos aus dem vorigen Jahrhundert. Die Kamera schnitt immer wieder von den Bildern auf das lebendige Gesicht um. Nach einer kurzen Vorstellung des Wiederauferstandenen, die von langen Ovationen unterbrochen wurde, verlasen Mediziner und Techniker ihre Gutachten, die natürlich einwandfrei bewiesen, daß es sich hier um den unbestreitbar echten, den unverwechselbaren, vor allem aber um den an Leib und Seele unbeschädigten Arribert Blacksmith handelte. Alter, je nach Auffassung, zweiunddreißig oder einhundertsiebzehn Jahre, wie der Präsident der SOLIDAD sagte, darüber müßten sich jetzt die Juristen die Köpfe zerbrechen. Walton war in Hochform. Er sprühte von Witz und warf mit brillanten Formulierungen nur so um sich. Kunststück. Aber auch Dulles sah recht zufrieden aus. Timothy entdeckte ihn bei einem Kameraschwenk unter den Zuschauern. Also hatte er doch sein Schäfchen ins trockene gebracht. Oder der Verrat des Sekretärs war nur vorgespielt gewesen. Timothy lachte böse. Umsonst, mein Lieber.
    Blacksmith wurde den Journalisten ausgeliefert. Die üblichen, mehr oder weniger geistreichen Fragen, vor allem, wie es ihm im 2I. Jahrhundert gefiele. Timothy setzte sich erst auf, als Samuel Flatcher von der CNC ans Mikrofon gelassen wurde.
    »Mich interessiert besonders Ihre Jugend, Arribert«, begann Flatcher. »Zur Abrundung meiner Story über Ihr außergewöhnliches Schicksal. Können Sie noch ein bißchen über Ihre Jugend erzählen? Oder gibt es da Erinnerungslücken?«
    Ein geschickter Hund, dachte Timothy. Er verbaut Blacksmith erst einmal den Rückzug. Und sich selbst baut er eine goldene Brücke. Wenn es schiefgeht, hat er eben wirklich nur nach Blacksmith’ Jugend gefragt. Aber wer weiß, wieviel Flatcher überhaupt erfahren hatte.
    »Bitte fragen Sie nur«, sagte Blacksmith, und einer der betreuenden Ärzte erklärte, Arribert Blacksmith sei auch in bezug auf sein Gedächtnis ein absolut durchschnittlicher Mensch, der natürlich auch das eine oder andere vergessen habe. »Wer wollte leben, ohne vergessen zu können, vor allem die eigenen Fehler«, schloß er, »Sie etwa, meine Damen und Herren Journalisten?« Lachen im Saal.
    »Sie sind evangelisch getauft, nicht wahr«, fragte Flatcher, »auch so erzogen?«
    »Ja, methodistisch. Die Zehn Gebote kann ich heute noch samt allen Erklärungen. Soll ich sie aufsagen?«
    »Erinnern Sie sich an Ihre Taufe?«
    »Natürlich nicht! Sie?« Blacksmith lachte, und alle im Saal lachten mit.
    »Aber an Ihre Konfirmation erinnern Sie sich gewiß?«
    »Und ob! Das war schließlich ein prima Fest. Das ganze Dorf kam feiern. Und Pa schenkte mir mein erstes Motorrad; ach so, Sie wissen ja wahrscheinlich nicht, was ein Motorrad ist –«
    »Ich weiß es«, unterbrach Flatcher. »Bei den Fotos aus Ihrer Jugend befindet sich ein Bild, wie Sie vom Baden kommen; hat das etwas Besonderes auf sich?«
    Blacksmith sah zu seinen Betreuern, dann zuckte er mit den Schultern. »Nein, warum?«
    »Wissen Sie noch, wo und wann es aufgenommen wurde?«
    »Nein. Kann sein in Florida, als wir da Urlaub machten.«
    »Was war Ihr Lieblingsgetränk als Junge? Haben Sie tatsächlich richtige Milch getrunken? Wie schmeckt sie?«
    »Hervorragend! Ich habe gerne Milch getrunken, und wir hatten ja auch Kühe zu Hause, wir hatten jeden Tag frische Milch. Ich würde ganz gerne mal wieder ’nen Schluck trinken.«
    »Da mußt du in den Zoo gehen«, rief jemand aus dem Saal. »Hatten Sie noch andere Tiere zu Hause?«
    »Klar, ’ne Masse. Pferde, Kühe, einen Hund, ein paar Katzen, Hühner, Gänse, Truthähne –«
    »Erinnern Sie sich an Truthahnbraten?«
    »Den gab’s zu Weihnachten.«
    »Wie mochten Sie ihn lieber, mit Preiselbeeren oder mit Chicorée?«
    »Mit Preiselbeeren.« Blacksmith leckte sich die Lippen.
    »Sie sind ein Lügner«, sagte Flatcher. Er sprach es ohne besondere Betonung aus, und es dauerte

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