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Wer stiehlt schon Unterschenkel: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition)

Titel: Wer stiehlt schon Unterschenkel: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Prokop
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lange, bis der Saal begriffen hatte, was er da gesagt hatte. Die Köpfe flogen zu ihm herum, und Tumult setzte ein. Flatcher hob beruhigend die Hände. Er wartete, bis es still geworden war.
    »Ich behaupte, daß Sie ein Schwindler sind. Und ich werde es beweisen. Im Namen der Wahrheit. Und im Auftrag meiner Firma, der CHICAGO NEWS CORPORATION, der bestinformierten der Stadt, wenn nicht der Staaten.«
    »Tun Sie es, tun Sie es!« schrie Walton vom Präsidiumstisch herunter. »Am besten gleich, wenn Sie sich trauen. Und wenn Sie es können!« Seine Stimme war blanker Hohn.
    »Gerne«, erwiderte Flatcher. »Wenn Sie zwei Expertenaussagen erlauben, es dauert nicht lange.«
    »Bitte!« rief Walton. »Es ist ja Ihre Blamage.«
    »Dann rufe ich als ersten Professor Mintz auf, er ist Neurologe an der hiesigen Universität.« Flatcher winkte in den Saal, dann setzte er sich und kreuzte die Arme über der Brust. Geschickt, dachte Timothy, durch sein Gehabe gibt er dem Ganzen jetzt die Atmosphäre einer Gerichtsverhandlung.
    Mintz, ein zäher Mittfünfziger, schlängelte sich durch die Reporter, die auf ihn einstürmten, zum Mikrofon vor, nahm einen kleinen Zettel aus der Tasche und las vor: »Nach den gesicherten Erkenntnissen der Wissenschaft ist es möglich, daß ein Mensch Erinnerungen verliert, daß er sie verdrängt, emotional einfärbt oder auch umdeutet, nicht aber, daß sich Erinnerungen in ihr Gegenteil verkehren.«
    Er steckte den Zettel ein und verschwand wieder, bevor die Zuhörer sich von ihrer Verblüffung erholt hatten. Walton grinste über das ganze Gesicht. Blacksmith saß da, als amüsiere er sich in seiner naiven, unbekümmerten Art über den Rummel, der um ihn gemacht wurde. Timothy mußte sich gestehen, daß Blacksmith ungeheuer echt wirkte.
    »Als nächster«, kündigte Flatcher mit großer Geste an, »Professor Spellham, Religionsphilosoph und Historiker, Bischof von Washington.«
    Spellham sah aus, wie man sich gemeinhin einen Bischof vorstellte, rund, gutmütig und mit rosigen Wangen.
    »Wir haben alle den Geburtsschein von Mister Blacksmith gesehen«, begann er. »Wurde dieses Dokument manipuliert?«
    »Nein, natürlich nicht!« erwiderte Walton empört.
    Spellham nickte. »In der Sparte ’Religion‹ finden wir die Bezeichnung klein geschrieben: method Punkt Bindestrich ev, was offensichtlich und sicher allgemein als methodistisch und evangelisch gedeutet wurde. Dementsprechend waren auch die Auskünfte, die Mister Blacksmith uns soeben gegeben hat, nur –«, er machte eine Kunstpause, in der er sich umdrehte und die Menge im Saal betrachtete, »methodistisch, als eine Form des evangelischen Glaubens, wurde damals im Staate Ohio mit ev Punkt, in Klammern method, bezeichnet. Die Formulierung, die uns hier vorliegt, bezeichnet eine Sekte, die sich die ’Methodisten des wahren Evangeliums‹ nannten. Vielleicht ein Fehler des ausfüllenden Beamten, könnte man einwenden. Wiederum muß ich sagen, nein. Ferrymore Brinkman, der die Urkunde ausgefertigt hat, war nach den im Theologischen Zentralinstitut lagernden Unterlagen der Vorsitzende der Kirchengemeinde. Die ’Methodisten des wahren Evangeliums‹ aber waren konsequente Vegetarier. Sie aßen keinerlei Fleisch, schon gar nicht Truthahn zu Weihnachten! Zu Weihnachten fasteten sie drei Tage. Sie tranken nicht einmal Kuhmilch. Es mag sein, daß die Familie Blacksmith Vieh auf dem Hof hielt, dann aber nur, um es zu verkaufen, nicht, um davon zu essen. Außerdem feierten die ’Methodisten des wahren Evangeliums‹ die Konfirmation erst im achtzehnten Lebensjahr. Wie konnte das ganze Dorf zusammenkommen, wo doch Mister Blacksmith mit achtzehn schon in Chicago lebte? Wie konnte er da sein erstes Motorrad bekommen, wo er doch schon mit vierzehn Jahren den Führerschein ausgestellt bekam und, wie aus den Unterlagen ebenso hervorgeht, mit achtzehn schon ein Automobil besaß?«
    »Scharlatan!« schrie Walton. »Beweise!«
    Blacksmith grinste still vor sich hin und wälzte ungeniert seinen Kaugummi von der einen in die andere Wange. Dann erhob er sich. Seine Handbewegung brachte den Saal zum Schweigen. »Ich verstehe gar nicht die Aufregung«, sagte er. »Seid ihr immer so? Mann, ist das eine Hektik in eurem Jahrhundert. Ich werde mir mal überlegen, ob ich nicht noch mal hundert Jahre schlafe. Und was meinen Glauben anbetrifft, ich bin gut evangelisch erzogen, und was der Mister da über Vegetarier und Erwachsenenkonfirmation redet, ist Unsinn. Ich muß es

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