Wer stiehlt schon Unterschenkel: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition)
aus Blacksmith’ Leben der Punkt gefunden werden könnte, von dem aus sie ihn und die SOLIDAD und den ganzen Feinfrostschwindel aus den Angeln heben könnten. Und immer wieder dachte Timothy darüber nach, was eigentlich ihn selbst ausmachte, den unverwechselbaren Timothy Truckle, was nur er und niemand anderes wissen konnte, und wenn schon jemand, wer? Aber auch so kam er der Lösung nicht näher. Gewiß, es mußte Millionen von Erinnerungen, Gefühlen und Gedanken geben, die nur der echte Blacksmith haben konnte, doch er hatte sie alle mit in sein eisiges Grab genommen, und auch das, was er jemals seiner Mutter oder seinem Vater oder seinen Freunden und Frauen anvertraut haben mochte, war verloren. Niemand von denen lebte mehr, und offensichtlich hatte niemand Aufzeichnungen über Arribert Blacksmith hinterlassen.
Wenn ich nur einen Zipfel von Arribert eins erwischen könnte, dachte Timothy verzweifelt, ein Stück seiner Seele. Er mußte kichern. Wie der Teufel hinter der Seele, dachte er. Ihm fiel ein Märchen ein, in dem der Teufel sich in Zwergengestalt gezeigt hatte.
Plötzlich sprang er auf. Er ließ sich von Napoleon die Frequenz geben, unter der er zu dieser Stunde den Großen Bruder erreichen konnte, und lief in das Mausoleum.
»Vielleicht«, sagte Timothy, »vielleicht erwischen wir ihn doch noch, genau kann ich es dir erst sagen, wenn ich mit ein paar Leuten gesprochen habe. Werde ich noch überwacht?«
»Ja. Sag mir, was du brauchst, ich werde es beschaffen lassen. Du bleibst schön in deinem Bau und nimmst mit niemandem Kontakt auf, bis die Sache zu Ende ist. Ich hätte gerne, daß du noch eine Weile am Leben bleibst, Tiny.«
»Heute abend«, erwiderte Timothy, »werde ich mir vorstellen, du seist eine wunderschöne Frau, und werde mich in die verlieben.« Dann gab er seine Wünsche durch, und der Große Bruder tat, als wundere er sich nicht, weder als Timothy etliche Dutzend Märchen in der Fassung des vorigen Jahrhunderts verlangte, noch als er aus dem ethnologischen Institut Daten über die Volksgruppenzugehörigkeit der Bewohner der einzelnen Gebiete Ohios anforderte, noch bei seinen Anforderungen an die Fakultät für Religionsgeschichte; erst als Timothy Hunderte von Kindersendungen überspielt bekommen wollte, lehnte der Große Bruder ab.
»Ich verstehe, worauf du hinauswillst«, sagte er. »Du suchst einen Anhaltspunkt in der kindlichen Psyche. Aber wir haben nur noch drei Tage Zeit. So schnell kann ich nicht an die elektronischen Aufzeichnungen, da sitzt immer noch das FBI.«
»Schade«, erwiderte Timothy, »aber vielleicht kommen wir auf einem der anderen Wege ans Ziel.«
In den nächsten zwei Tagen blieb Timothy und mit ihm Napoleon ganz in die Kinderwelt versunken. Schneewittchen schwebte jetzt unmittelbar über ihnen und tönte unentwegt. Sie erwogen Hunderte von Möglichkeiten, fanden gut zwei Dutzend Chancen, dem falschen Arribert eine Falle zu stellen, und verwarfen sie doch alle wieder, weil sie ihnen noch nicht gut genug erschienen. Timothy hatte sich die Kinderfotos von Arribert an die Wände projiziert, um ihn immer wieder anschauen zu können, als läge dort die Lösung. Und dort lag sie auch.
Timothy wollte es zuerst nicht glauben. Er dachte: Nein, so einfach kann es nicht sein. Das werden die Leute von der SOLIDAD kaum übersehen haben! Er ließ Napoleon noch einmal alle Informationen vortragen, die die SOLIDAD über Blacksmith herausgegeben, und alles, was er von Dulles erfahren hatte. Er blieb lange still sitzen, goß sich dann, zum erstenmal seit Tagen, einen Whisky ein, einen achtzigjährigen »Queen Elizabeth«. Er lehnte sich zurück und summte. »Übermorgen wird’s was geben, übermorgen kommt der Weihnachtsmann.« Schneewittchen begleitete ihn. Schließlich rief Timothy den Großen Bruder an.
»Ich schätze, wir haben ihn!« sagte er. »Jetzt brauchen wir nur noch einen Journalisten, der auf der Pressekonferenz für uns die Fragen stellt. Kannst du mir nicht ein zufälliges Zusammentreffen mit Donald Hunter arrangieren? Er rechnet sich zu meinen Freunden; soll er mal was für mich tun!«
»Ganz im Gegenteil«, sagte der Große Bruder. »Samuel Flatcher soll es tun, dein Todfeind von der CHICAGO NEWS CORPORATION. Damit der liebe John Modesty Dulles nicht auf falsche Gedanken kommt.«
»Mir soll es recht sein«, antwortete Timothy vergnügt, goß sich noch einen »Queen Elizabeth« ein und ließ sich die Nachrichten vorspielen. CNC meldete, daß vor einer
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