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Wer stiehlt schon Unterschenkel: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition)

Titel: Wer stiehlt schon Unterschenkel: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Prokop
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gerade befördert worden. Steht das noch nicht in Ihren Unterlagen?«
    »Meinen Glückwunsch. Was machen Sie denn jetzt? FBI?«
    »Sie sehen den Detektivchef von Illinois vor sich.«
    Sie setzte sich steif auf, drückte das Kreuz durch und kniff die Augen zusammen; mit ihren Hängebäckchen und der knubbligen Nase sah sie jedoch noch immer wie eine Matrone aus, zumal sie heute ein fast schmuckloses schwarzes Satinkleid im Stil des 19. Jahrhunderts trug. Timothy wußte, wie sehr ihr Äußeres täuschte, wie brutal sie sein konnte. Deborrah Johnson hatte sich nicht zufällig über zehn Jahre als Kriminalchef von Chicago halten können.
    »Was hat Sie zu mir geführt, Debby?« fragte Timothy. »Sicher nicht nur der Wunsch, mich einmal wiederzusehen.«
    Sie rieb nervös die Hände. »Ich brauche Ihre Hilfe, Tiny.«
    »Sie? Das ist gut.«
    »Nicht ich persönlich«, sagte sie zögernd, »ich –«
    »Möchten Sie, daß wir in mein Mausoleum gehen?« Timothy verkniff es sich, auch nur eine Andeutung von Spott in diese Frage zu legen.
    »Ja, gerne.« Es klang erleichtert. Timothy fuhr im Sessel hinüber.
    »Das also ist Ihre berüchtigte Höhle.« Deborrah Johnson ließ ungeniert ihren Blick kreisen. »Ich wundere mich immer wieder, daß Sie die Genehmigung haben.«
    »Sie würden sich nicht wundern, wenn Sie wüßten, was für Probleme die Großen unserer Welt zuweilen haben.« Timothy löschte das Licht bis auf die kleine Lampe an ihrem Sessel.
    »Ich wollte mich gerade ein wenig umsehen«, sagte die Bachstelze enttäuscht. »Sie haben doch nichts dagegen?«
    »Erzählen Sie lieber, wo Sie der Schuh drückt.«
    »Da muß ich Sie erst verpflichten, Tiny.«
    Sie holte einen Recorder aus der Handtasche, legte einen neuen Kristall ein und ließ Timothy die vorgeschriebene Stimmprobe und seine Identicat-Chiffre sprechen.
    »Sie, Timothy Truckle«, sagte die Bachstelze dann in feierlichem Ton, »werden hiermit für die Vereinigten Staaten von Amerika dienstverpflichtet. Sie erklären, sich ganz und rückhaltlos zum Wohle der USA einzusetzen, das Amtsgeheimnis zu wahren und allen Anordnungen zu folgen.«
    Sie hielt Timothy den Recorder hin, der jedoch winkte mit verkniffenen Lippen ab. Die Bachstelze stellte das Gerät ab.
    »Nicht so«, sagte Timothy, »doch nicht diese Gummiformel, nach der Sie mir befehlen könnten, meine eigene Mutter umzubringen. Ich will mich verpflichten, Ihre Geheimnisse zu wahren, mehr nicht.«
    »Ich muß Sie dienstverpflichten, Tiny. Es geht um die höchste Geheimhaltungsstufe.«
    »Und wenn ich mich weigere?«
    »Verlieren Sie Ihre Lizenz.«
    »O tempora, o mores.«
    »Was sagten Sie?«
    »Ein alter lateinischer Spruch, etwa: Welch lausige Zeiten, welch miese Sitten.«
    Die Bachstelze grinste und hielt ihm noch einmal den Recorder hin.
    »Ich verpflichte mich«, sagte Timothy. Während Deborrah Johnson den Recorder verstaute, goß er sich einen »Queen Anne« ein und kippte ihn gleich hinunter. Es war ganz gut, daß die Bachstelze sein Gesicht nicht gesehen hatte.
    »Und Sie dürfen unser Gespräch nicht mitschneiden«, sagte sie.
    »Wozu diese Geheimniskrämerei, wenn ich doch für die Regierung arbeite? Wollen Sie etwa andeuten, daß mich noch jemand anderes bespitzeln könnte?«
    Die Bachstelze überhörte die Frage. Sie legte sich bequem hin, schob die Hände unter den Kopf und schloß die Augen. »Tiny, Sie wissen, ich mag Sie.«
    »Ich kann es nicht übersehen, wenn ich auch nicht begreife, warum. Warum, Debby?«
    »Ist das wichtig? Vielleicht weiß ich es selbst nicht.«
    Wer soll dir das glauben, dachte Timothy. Als ob die Bachstelze irgend etwas ohne Berechnung täte! Anfangs hatte er geglaubt, daß sie ihm gegenüber einen Mutterkomplex entwickelt hätte, daß ihre weiblichen Instinkte sie bewegten, ihn, den Zwerg, den Außenseiter, zu beschützen, aber er war schnell dahintergekommen, daß ihre unübersehbare Mütterlichkeit nur Show war – und die Bachstelze fand fast täglich eine Gelegenheit, sich irgendwo in der Öffentlichkeit zu zeigen. Sie arbeitete unaufhörlich an ihrem Image einer zwar tatkräftigen und, wenn es not tat, auch hart zupackenden, letztlich aber doch warmherzigen Frau von mittelwestlicher Biederkeit. Mit Erfolg. Sie wehrte nicht nur alle Konkurrenten ab, sondern kletterte alle paar Jahre eine Sprosse höher auf der Leiter der Macht, und es hieß, sie träume insgeheim von einem Platz im Gouverneurspalast, wenn nicht gar im Weißen Haus. Und du als ihr Hofzwerg!

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