Wer stiehlt schon Unterschenkel: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition)
Timothy fühlte ihm den Puls und erschrak. Fast zweihundert! Er holte ein Thermometerblättchen und tupfte es auf Baxters eigenartig glatte Zunge: 41,4!
Timothy stürzte hinaus, ließ sich von Napoleon die Frequenz geben und sendete: 5.71 Kolkrabe. Dann wickelte er Tücher um Baxters Handgelenke und träufelte Kühlmittel darauf. Er blickte immer wieder auf die Uhr. Die Minuten krochen dahin. Ihm fiel ein, daß er trotz der Sperrstunde auch mit einem unangemeldeten Besucher rechnen mußte, einem richtigen Safeman zum Beispiel. Er fuhr Baxter ins Bad hinüber, verrückte die Projektionswand, stellte den Sessel dahinter und schaltete die Projektion ein, so daß Baxter hinter Fischen, Seepferdchen und Korallen verschwand. Dann ließ Timothy Wasser in das Bassin laufen, zog sich aus und warf einen Bademantel über. Endlich klingelte es. Vor der Tür stand ein Mann mit Medikamentenkoffer und Gerätecontainer. Timothy kannte ihn nicht. Er öffnete die Tür, ließ den Mann aber auf dem Flur stehen.
»Wo ist der Kranke?« fragte der. »Ich denke, es herrscht Lebensgefahr?«
»Was für ein Kranker?« Timothy sah seinen Besucher erstaunt an.
Der blickte zurück, als habe er es mit einem Geisteskranken zu tun, dann schlug er sich an die Stirn. »Niagara«, sagte er dann, »und eine Zahl soll ich dir sagen, zweiundsiebzig-dreiundachtzig.«
»Okay, Doc.« Timothy führte ihn zu Baxter. Der Arzt maß Fieber und Puls.
»Komm, wir müssen ihn ausziehen.«
»Weißt du, was dich erwartet?« fragte Timothy.
Doc wußte es nicht, nur daß es sich um einen lebensgefährlichen Krankenbesuch handelte, lebensgefährlich für ihn. Er wollte zuerst nicht glauben, was Timothy ihm erzählte. Sie quälten sich ab, weil sie nicht hinter den Öffnungsmechanismus der Spezialkombination kamen, schließlich hatten sie wenigstens die Stiefel und Strümpfe geschafft. Kurz entschlossen fuhren sie Baxter an das Bassin, ließen ihn ins Wasser gleiten, befestigten seinen Kopf in der Halterung und schnitten ihm die Sachen mit der Schere vom Leib. Timothy wollte sie gleich vernichten, überlegte es sich aber anders und stopfte sie in einen Container. Dann standen sie beide am Bassin und starrten auf die Gestalt, als könnten sie es noch immer nicht glauben, eine schöne, bis auf die Schulterpartie knabenhafte Figur, an deren Seiten jeweils zwei Arme im Wasser pendelten.
»Es gibt da eine Skizze von Leonardo da Vinci«, flüsterte Timothy aufgeregt.
»Ich weiß, was du meinst«, sagte Doc, »der nackte Mann in Kreis und Quadrat mit doppelter Arm- und Beinstellung.«
Doc konnte es sich nicht verkneifen, zuerst einmal flüchtig die Schulter zu untersuchen, bevor er Baxters Herztöne abhorchte. Er blickte besorgt auf.
»Siehst du den Orangeschimmer auf der Haut?«
Er steckte eine Hand in das Wasser und legte sie neben eine von Baxters Rechten. Jetzt erkannte Timothy es auch.
»Davon hat niemand etwas gesagt. Komisch, eine Orangenhaut wäre doch ein sicheres Erkennungszeichen.«
»Ich fürchte, das ist keine Mutation, sondern Neutronitis, eine Strahlenkrankheit. Kann es sein, daß er mit radioaktivem Material in Berührung gekommen ist?«
»Schon möglich, er hat die Muddies durchquert.«
Doc holte Geräte aus seinem Container, klemmte Elektroden auf Baxters Brust, an die Schläfen, Hände, Füße, zapfte dann Blut aus Armbeuge und Zeigefinger, gab das Blut in den Seraten, studierte aufmerksam die Skalenwerte und nickte ernst, holte einen Vaughn-Geiger-Zähler und tastete damit Baxter ab.
Der Zähler sprang nicht an.
»Er selbst ist nicht radioaktiv«, sagte Doc, »aber es ist unverkennbar Neutronitis destructa.«
»Kannst du ihn behandeln, oder muß er etwa in eine Klinik?«
Doc packte umständlich seine Geräte wieder ein.
»Was ist, Doc?« drängelte Timothy.
»Dem da kann niemand mehr helfen.«
»Willst du sagen, er stirbt?«
»Innerhalb der nächsten vierundzwanzig bis achtundvierzig Stunden.«
»Aber das darf nicht sein!« rief Timothy.
Doc kramte eine Flasche aus seinem Arzneikoffer. »Ich kann seinen Zustand lindern, nicht bessern. Es gibt kein Mittel, glaube mir.«
Timothy holte Whisky. Sie setzten sich an das Bassin, starrten auf Baxter und tranken schweigend.
»Wir müssen wenigstens seine Leiche sicherstellen«, sagte Timothy schließlich, »obwohl eine Leiche noch schwerer zu verbergen ist als ein Flüchtling. Man müßte ihn einfrieren, um seinen Körper zu erhalten, doch wo?«
»Zwecklos«, erwiderte Doc. »Das Gewebe
Weitere Kostenlose Bücher