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Wer stiehlt schon Unterschenkel: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition)

Titel: Wer stiehlt schon Unterschenkel: und andere unglaubliche Kriminalgeschichten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gert Prokop
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gekommen, mir Mantel und Mütze zu nehmen. Ein paarmal wäre ich beinahe gefaßt worden. Ich wollte schon aufgeben, doch da erblickte ich das Zeichen an deinem Haus.«
    Timothy hatte die beiden Servicewagen herangefahren und stellte Schüsseln auf den Tisch. Obwohl alles aus der gleichen, kalorienarmen und sättigungsschwachen Masse bestand, wirkte es doch wie ein überaus reiches Festmahl. Timothy hatte nicht umsonst Stunden in der Küche verbracht. Er hatte Dutzende verschieden geformter und gefärbter Speisen gezaubert, hatte alle seine Nudelformen benutzt, Spiralen und Sternchen, Kugeln, Spaghetti und Makkaroni, Buchstaben, Ziffern, Hörnchen, Muscheln, Fäden; anderes wiederum hätte man für Kroketten, Pommes frites oder Püree, für Pilze oder Spargel, Kirschen oder Pflaumen, für Zucker, Reis oder Erbsen halten können, wenn es nicht in den verwegensten, knalligsten Farben geleuchtet hätte, dazu gab es bunte Soßen, Cremes und Streuselchen.
    Baxter saß da und starrte auf die Pracht, die Timothy vor ihm aufbaute.
    »Zum erstenmal bedauere ich, daß ich nicht schmecken kann«, sagte er. »Und du hast dir so viele Mühe gegeben. Aber jetzt weiß ich, was das ist: schön.«
    Timothy wandte sich ab. Was ging es Baxter an, daß ihm Tränen in den Augen standen. Dann sah er zu, wie sein Gast aß, winzige Portionen, wie Timothy ihm geraten hatte, damit er nicht zu schnell satt würde. Es war faszinierend, wie Baxter mit der einen Hand einen Teller hielt, mit der anderen darauf seine Portion mischte, mit der dritten eine Gabel zum Mund führte und mit der vierten zum Glas griff. Timothy beglückwünschte sich, daß er daran gedacht hatte, die ganze Szene im Bild festzuhalten. Er wechselte immer wieder Geschirr und Besteck aus; die schmutzigen Sachen brachte er sofort in die Küche und stellte sie in den Spülautomaten. Und immer wieder ließ er Baxter die Zunge herausstecken, damit er die Temperatur messen konnte. Ein paarmal versuchte er zu fragen, um doch noch Informationen über das Fort zu bekommen, aber Doc hatte recht gehabt: Baxter phantasierte, seine Sätze wurden immer wirrer.
    Dann war das Fieber auf 41,5 gesprungen. Timothy holte die Ampulle und gab Baxter eine Injektion in den Arm. Er wartete, bis Samuels verquollene Augen sich weiteten und der Atem freier ging.
    »Steh auf!« sagte Timothy.
    Baxter erhob sich. Schweißbäche liefen ihm über die Wangen, aber er schwankte kaum.
    »Jetzt, Samuel«, sagte Timothy, »jetzt gehe zu deiner Gemeinde.«
    11.
    »Du wirst mit dem Lift hinunterfahren, in den siebenten Stock«, erklärte Timothy. »Du wirst durch die Doppeltür vor dir gehen. Dort warten über tausend Menschen auf dich. Nicht alle sind deine Freunde. Auch dort werden Häscher und Schergen warten. Laß dich nicht beirren, Samuel. Geh deinen Weg. Geh ganz nach vorn. Steige auf die Bühne. Wirf deinen Mantel ab. Breite die Arme aus und verkünde deine Botschaft. Hast du alles verstanden?«
    »Ja. Gib mir die Botschaft, die ich verkünden soll.«
    »Sag, wer du bist. Wo du herkommst. Sprich von deinem Leben in Fort Baxter.«
    Samuel nickte. Timothy hängte ihm den Raglanmantel über, spähte auf den Flur, bis er seinen Safeman erblickte, winkte ihn herbei.
    »Einen Lift. Sofort. Und exklusiv!«
    Der Safeman lief zum Fahrstuhlblock. Es schien Ewigkeiten zu dauern, bis er einen leeren Lift hatte.
    »In den siebenten Stock«, flüsterte Timothy ihm zu. »Fahr unterste Geschwindigkeit. Kein Gespräch unterwegs. Paß auf, daß er den Saal betritt, notfalls schiebe ihn hinein. Dann verschwinde. Sofort und absolut. Es darf nichts schiefgehen, und niemand darf dich erwischen.«
    »Do or die!« antwortete der Safeman.
    Timothy wartete noch, bis sich die Lifttür geschlossen hatte, dann stürzte er in seine Wohnung. Er hatte achteinhalb Minuten Zeit, bis die beiden unten ankamen. Er riß den Kristall aus der Kamera, verstaute ihn im Geheimschrank, versiegelte den mit einem Sprengverschluß, räumte den Tisch ab, ließ Speisen und Getränke vernichten, ebenso die fleckig gewordene Damastdecke, Baxters Kleidung und das Badetuch, das Samuel umgehabt hatte, stellte das Geschirr in den Spülautomaten, riß es noch feucht wieder heraus und stellte es in die Schränke, spülte Flaschen und Gläser. In der Aufregung hatte er den Videomaten falsch eingestellt. Timothy stierte verwirrt auf die Crackmatch-Übertragung; es dauerte ein paar Sekunden, bis er begriff, was los war, und Kanal siebenundzwanzig wählte, wo seit

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