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Wer stirbt, entscheidest du

Wer stirbt, entscheidest du

Titel: Wer stirbt, entscheidest du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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Augen weit aufgerissen, den Mund geöffnet.
    Ich blickte zu dem Mann auf, der meinen Mann getötet und mein Kind entführt hatte.
    Ich stach mit dem Messer zu.
    Im selben Augenblick drückte er ab.

    Wenn es zur Schießerei kommt, taugt ein Messer nicht viel.
    Aber manchmal doch. Die Kugel traf auf meine rechte Schulter. Meine Klinge bohrte sich in seinen linken Oberschenkel. Er ging zu Boden, drückte ein zweites Mal ab und schoss in den Schnee. Ich trat ihm die Waffe aus der Hand und legte die Flinte an. Er wand sich vor Schmerzen, machte aber keine Anstalten, sich zu wehren.
    Ich schätzte Purcell auf Mitte vierzig bis Anfang fünfzig. Als Killer also wahrscheinlich erfahren. Mit etlichen Kerben im Schlagring. Vermutlich war er sogar stolz darauf, denn obwohl ihm jede Menge Blut aus dem Bein spritzte, presste er die Lippen aufeinander und sagte kein Wort.
    «Du erinnerst dich an mich?», fragte ich.
    Er nickte zögernd.
    «Ist das Geld schon verzockt?»
    Er schüttelte den Kopf.
    «Zu dumm, denn dazu wirst du keine Gelegenheit mehr haben. Ich will meine Tochter.»
    Er sagte immer noch nichts.
    Ich drückte die Flintenmündung auf seine rechte Kniescheibe. «Verabschiede dich von deinem Bein», sagte ich.
    Er sperrte die Augen auf. Seine Nasenflügel blähten sich. Wie die meisten schweren Jungs, war wohl auch Purcell besser im Austeilen als im Einstecken.
    «Ich habe sie nicht», stöhnte er. «Nicht hier.»
    «Dann wollen wir doch mal nachsehen.»
    Ich befahl ihm, sich auf den Bauch zu drehen und die Hände in den Rücken zu legen. Ich hatte mich mit Kabelbindern aus Shanes Vorräten eingedeckt. Zuerst fesselte ich Purcell an den Händen, dann an den Füßen. Er winselte vor Schmerzen, als ich mich an seinem Bein zu schaffen machte.
    Mir ging durch den Kopf, dass ich doch eigentlich etwas empfinden müsste. Triumph, Bedauern, irgendetwas. Aber da war nichts.
    Besser das Denken ausschalten.
    Purcell war verletzt und gefesselt. In seinen Taschen fand ich ein Taschenmesser, einen Pager und ein Dutzend lose Patronen für den Fall, dass er hätte nachladen müssen. Ich steckte alles ein.
    Unbeeindruckt von seinen Schmerzgrimassen packte ich mit der linken Hand zu und schleifte ihn durch den Schnee zur hinteren Veranda zurück, wo ich ihn mit einem weiteren Kabelbinder an einen Wasserhahn fesselte. Mir war klar, dass er sich aus eigener Kraft davon würde befreien können, aber dazu hätte er Zeit gebraucht, und die wollte ich ihm nicht geben. Außerdem würde er, an Händen und Füßen gefesselt, nicht weit kommen, jedenfalls nicht weit genug.
    Meine Schulter brannte. Ich spürte Blut über den Arm sickern, eine unangenehme Empfindung. Mich streifte der flüchtige Gedanke, dass es vielleicht angebracht wäre, die Verletzung ernst zu nehmen, dass Blut zu verlieren womöglich schlimmer war als eine unangenehme Empfindung.
    Ich fühlte mich seltsam hohl, ungerührt und über jeden Schmerz erhaben.
    Besser gar nicht darüber nachdenken.
    Vorsichtig betrat ich das Haus, steckte das Messer in die Scheide zurück und senkte die Flinte. Den Schaft musste ich in die linke Armbeuge legen. Richtig zielen würde ich in meiner Verfassung wohl kaum. Aber das war mit dieser Flinte auch nicht wirklich nötig.
    Purcell hatte kein Licht angemacht. Verständlich. Aus dem Hellen eilt man nicht ins Dunkle, wenn man etwas sehen will.
    In der Küche roch es nach Knoblauch, Basilikum und Olivenöl. Purcell war offenbar ein Feinschmecker. Ich gelangte in ein Wohnzimmer mit zwei massigen Ohrensesseln und einem riesigen Fernseher, von dort aus in einen kleineren Raum voller Regale und einem Schreibtisch. Dann ein kleines Badezimmer. Dann ein langer Flur mit drei geöffneten Türen.
    Ich konzentrierte mich darauf, ruhig zu atmen, und schlich so leise wie möglich auf die erste Tür zu. Als ich sie ein wenig weiter aufstieß, piepte es in meiner Hose. Unwillkürlich duckte ich mich und hob die Flinte, gefasst auf eine plötzliche Bewegung, einen Schatten, der auf mich zustürzte.
    Doch da war nichts. Hektisch griff ich mit der Rechten in die Hosentasche, zog Purcells Pager daraus hervor und drückte auf den Ausschalter.
    Im letzten Augenblick aber sah ich noch, was auf dem Display stand. Lyons tot. Fahndung nach Leoni läuft.
    «Zu spät, zu spät», murmelte ich, steckte den Pager in die Tasche zurück und setzte meine Hausdurchsuchung fort.
    Nichts, nichts, überall nichts.
    Anscheinend lebte Purcell allein, als Junggeselle mit einem großen

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