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Wer stirbt, entscheidest du

Wer stirbt, entscheidest du

Titel: Wer stirbt, entscheidest du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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Detail zu viel. Wirkt ein bisschen zu beherrscht. Ein erfahrener Ermittler lässt ihn auffliegen.
    «Können Sie uns sagen, was passiert ist, Trooper Leoni?» Ein Detective der Bostoner Polizei unternimmt einen ersten Versuch. Er ist schon älter, grau an den Schläfen. Klingt freundlich, macht auf kollegial.
    Ich will nicht antworten. Ich muss antworten. Lieber einem hiesigen Detective als dem Vertreter der übergeordneten Stelle, der später am Zug sein wird. Mein Schädel dröhnt, die Schläfen pochen, meine Wangen glühen.
    Ich muss mich übergeben, kämpfe aber gegen den Würgereiz an.
    «Mein Mann …», flüstere ich. Mein Blick richtet sich unwillkürlich zu Boden. Ein Fehler, wie ich weiß. Ich schaue meinem Gegenüber wieder ins Gesicht. «Manchmal … wenn ich spät arbeite. Mein Mann war wütend und hat die Beherrschung verloren.» Pause. Meine Stimme wird kräftiger, artikulierter. «Er hat mich geschlagen.»
    «Wohin hat er geschlagen, Officer?»
    «Ins Gesicht. Aufs Auge.» Ich drücke mit den Fingern auf die Stellen, was den Schmerz ein wenig nimmt. Im Geiste sehe ich, wie er mich bedroht. Ich kauere am Boden, völlig verängstigt.
    «Ich bin gestürzt», sage ich. «Mein Mann griff nach einem Stuhl.»
    Stille. Der Detective wartet darauf, dass ich fortfahre. Dass ich lüge oder die Wahrheit sage.
    «Ich habe nicht zurückgeschlagen», flüstere ich. Mir reicht’s. Ich weiß, wie diese Geschichte ausgeht. Wir alle wissen es. «Ich dachte mir, wenn ich mich nicht wehre, beruhigt er sich wieder und hört auf», murmele ich mechanisch. «Wenn doch, wird alles nur noch schlimmer.»
    «Wo waren Sie, Trooper Leoni, als Ihr Mann zum Stuhl griff?»
    «Auf dem Boden.»
    «Wo im Haus?»
    «In der Küche.»
    «Was haben Sie getan, als Ihr Mann zum Stuhl griff?»
    «Nichts.»
    «Und was hat er getan?»
    «Ihn geworfen.»
    «Wonach?»
    «Auf mich.»
    «Sind Sie getroffen worden?»
    «Ich … ich weiß nicht mehr.»
    «Was ist dann passiert, Trooper Leoni?» Der Detective beugt sich herab und mustert mich von nahem. Er macht einen besorgten Eindruck. Stimmt mit meinem Augenkontakt irgendetwas nicht? Ist meine Story zu detailliert? Nicht detailliert genug?
    All I want for Christmas is my two front teeth, my two front teeth, my two front teeth.
    Mein Leben rauscht mir durch den Kopf. Es fehlt nicht viel, und ich fange zu kichern an. Ich tu’s nicht.
    Ich liebe dich, Mommy. Ich liebe dich.
    «Ich habe den Stuhl zurückgeschmissen», sage ich.
    «Sie haben mit dem Stuhl nach ihm geworfen?»
    «Er wurde … noch wütender. Also muss ich irgendwas getan haben, was ihn noch wütender gemacht hat.»
    «Trugen Sie zu diesem Zeitpunkt noch Ihre Uniform, Trooper Leoni?»
    Ich schaue ihm in die Augen. «Ja.»
    «Mitsamt dem Koppel und der Weste?»
    «Ja.»
    «Haben Sie irgendwas aus dem Koppel gezogen, um sich zu verteidigen?»
    Ich schaue ihm immer noch in die Augen. «Nein.»
    Der Detective beäugt mich neugierig. «Was passierte dann, Trooper Leoni?»
    «Er griff zur Bierflasche. Schlug auf mich ein. Ich … ich wehrte mich. Er taumelte zurück und stieß gegen den Tisch. Ich stürzte. Wieder vor die Wand. Mit dem Rücken. Ich wollte nur noch weg.»
    Stille.
    «Trooper Leoni?»
    «Er hat die Flasche zerbrochen», murmele ich. «Ich musste mich irgendwie in Sicherheit bringen. Kam aber nicht mehr auf die Beine. Ich hockte am Boden. Vor der Wand. Und sah ihn auf mich zukommen.»
    «Trooper Leoni?»
    «Ich hatte Todesangst», flüstere ich. «Da griff ich zu meiner Waffe. Und als er über mich herfiel … ich hatte Todesangst.»
    «Trooper Leoni, was ist passiert?»
    «Ich habe auf meinen Mann geschossen.»
    «Trooper Leoni –»
    Ich begegne seinem Blick ein letztes Mal. «Dann bin ich los, um nach meiner Tochter zu suchen.»

[zur Inhaltsübersicht]
    5. Kapitel
    Als D.D. und Bobby den Garten verließen und wieder vor dem Haus standen, holten gerade Sanitäter eine Trage aus dem Krankenwagen. Daneben sah D.D. einen uniformierten Kollegen der Bostoner Zentrale hinter dem Absperrband. Sie ging auf ihn zu.
    «Hey, Officer Fiske. Haben Sie alle eingetragen, die ins Haus gegangen sind?» Sie deutete auf den Ordner, den er in der Hand hielt.
    «Natürlich. Insgesamt sind’s zweiundvierzig.»
    «Nicht zu fassen. Fährt denn auch noch jemand Streife?»
    «Wohl eher nicht», bemerkte Officer Fiske, ein junger Mann mit ernster Miene. Täuschte sich D.D., oder wurden die Kollegen tatsächlich von Jahr zu Jahr jünger und

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