Wer stirbt, entscheidest du
der Länge nach hinschlug.
Der Ausbilder stieß in die Trillerpfeife. Meine Klassenkameraden jubelten.
Ich mühte mich auf und befingerte meine Nase.
«Davon bleibt was zurück», grinste mein Ausbilder.
Ich half Chuck auf die Beine.
Er bedankte sich und sagte: «Tut mir leid für dein Gesicht.» Armer großer Kerl, der sich auf einen Zweikampf mit einem Mädchen hatte einlassen müssen – entsprechend dämlich blickte er drein.
Alles in Ordnung, versicherte ich ihm. Wir täten ja alle nur unsere Pflicht. Dann wurden wir auf andere Partner angesetzt und mussten weitermachen.
Am späten Abend, eingerollt auf meiner Pritsche, legte ich meine Hand auf die schmerzende Nase und weinte. Weil ich nicht wusste, ob ich diese Tortur weiter durchstehen würde. Weil ich nicht sicher war, ob ich wirklich vorbereitet war auf ein neues Leben, in dem es dermaßen rau zuging. Um das ich buchstäblich zu kämpfen haben würde.
Ich war drauf und dran, meine Ausbildung abzubrechen. Ich wollte nur noch nach Hause zu meinem kleinen Mädchen, wollte sie im Arm halten und den Duft ihrer gewaschenen Haare inhalieren, wollte ihre kleinen runden Hände an meinem Hals spüren. Ich wollte die bedingungslose Liebe meiner zehn Monate alten Tochter genießen.
Stattdessen ließ ich mich am nächsten Tag und in den Tagen danach wieder verprügeln. Ich ertrug Rippenquetschungen, Tritte vors Schienbein und schmerzende Handgelenke, teilte aber auch selbst ordentlich aus. Nach den fünfundzwanzig harten Trainingswochen hatte ich mich mit den besten gemessen. Ich war voller blauer Flecken, aber auch voller Tatendrang.
Klein, schnell und zäh.
Meine Kollegen nannten mich Riesentöter, worauf ich stolz war.
Die damaligen Tage gingen mir durch den Kopf, jetzt, da der Arzt meine CT-Aufnahmen studierte und das geschwollene, schwarzblaue Gewebe an meinem Auge betastete.
«Zygomaticusfraktur», diagnostizierte er und übersetzte für mich: «Ihr Jochbein ist gebrochen.»
Nach einem weiteren Blick auf die Aufnahmen untersuchte er meinen Schädel. «Das Gehirn scheint keine Schäden davongetragen zu haben. Ist Ihnen übel? Haben Sie Kopfschmerzen?»
Ich murmelte zweimal ja.
«Nennen Sie mir Ihren Namen und das heutige Datum.»
Meinen Namen konnte ich nennen, beim Datum musste ich passen.
Der Arzt nickte. «Nach der CT sieht es so aus, dass Sie eine Gehirnerschütterung haben und, wie gesagt, ein gebrochenes Jochbein. Und was ist hier passiert?» Er meinte die fast verblichenen Blutergüsse an meinem Rippenbogen.
Ich antwortete nicht und starrte unter die Zimmerdecke.
Er drückte mir auf den Bauch. «Tut das weh?»
«Nein.»
Er bewegte meinen rechten Arm, den linken und suchte nach weiteren Verletzungen. An der linken Hüftseite entdeckte er einen blauen Fleck in der Form eines Halbmonds, verursacht von der Stahlkappe eines Arbeitsschuhs.
Ich hatte schon jede Menge blaue Flecken gesehen, zum Beispiel solche, bei denen sich Eheringe oder Armbanduhren eingeprägt hatten, einmal sogar den Abdruck einer Vierteldollarmünze, und zwar im Gesicht einer Frau, die von ihrem Freund mit einer Rolle Münzen verprügelt worden war. Der Miene des Arztes nach zu urteilen, hatte auch er schon einiges gesehen.
Dr. Raj zog mir wieder das Nachthemd herunter, nahm meine Krankenakte zur Hand und schrieb etwas auf.
«Das Jochbein heilt von allein», erklärte er. «Die Gehirnerschütterung behalten wir im Blick. Wenn der Brechreiz und die Kopfschmerzen morgen verschwunden sein sollten, könnten Sie wieder nach Hause gehen.»
Ich sagte nichts dazu.
Der Arzt räusperte sich.
«Sie hatten da, wie mir scheint, linksseitig eine Rippenfraktur, die nicht richtig verheilt ist.»
Er wartete darauf, dass ich etwas sagte, eine Erklärung, die er dann in meiner Krankenakte schriftlich festgehalten hätte: Patientin behauptet, von ihrem Ehemann niedergeschlagen und getreten worden zu sein. Patientin verweist auf einen Baseballschläger im Besitz ihres Mannes.
Ich sagte nichts, weil aus einer Aussage ein Protokoll wird und aus einem Protokoll ein Beweismittel, das gegen einen verwendet werden könnte.
«Haben Sie sich den Brustkasten selbst verbunden?», fragte der Arzt.
«Ja.»
Der Arzt gab einen Grunzlaut von sich und schrieb etwas in meine Akte.
Wie die Sanitäter sah er in mir ein Opfer. Da lagen sie falsch. Ich war eine Überlebende, die gerade über ein Drahtseil balancierte und sich einen Fehltritt absolut nicht leisten konnte.
Dr. Raj musterte mich ein
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