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Wer stirbt, entscheidest du

Wer stirbt, entscheidest du

Titel: Wer stirbt, entscheidest du Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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einer Weile ließ ich sie los. Ich hätte die Wohnungstür verriegeln sollen, ermahnte ich mich und nahm mir vor, die Autoschlüssel demnächst oben auf dem Schrank zu deponieren oder besser noch: im Schließfach. Noch mehr, woran ich denken musste.
    Meine Augen brannten ein wenig, aber ich weinte nicht. Sie war meine Sophie. Und ich liebte sie.
    «Hast du keine Angst gehabt?», fragte ich, als ich sie an der Hand nach oben führte. Das Abendessen war inzwischen kalt geworden.
    «Nein, Mommy.»
    «Obwohl du im Dunkeln eingesperrt warst?»
    «Nein, Mommy.»
    «Wirklich nicht? Du bist ein tapferes Mädchen, Sophie Leoni.»
    Sie drückte meine Hand. «Ich wusste doch, Mommy kommt», sagte sie einfach.

    Ich erinnerte mich an diesen Abend, als ich bewegungsunfähig auf dem Krankenhausbett lag, umgeben von piependen Monitoren und den Geräuschen der Station. Sophie war zäh. Sophie war tapfer. Meine Tochter fürchtete sich nicht im Dunkeln, obwohl ich die Detectives etwas anderes hatte glauben machen. Ich wollte, dass sie sich um meine Tochter Sorgen machten und sich umso mehr ins Zeug legten.
    Ich brauchte die beiden, Bobby und D.D., ob sie mir glaubten oder nicht. Meine Tochter brauchte sie, vor allem jetzt, da sich ihr Superheld, die eigene Mutter, nicht auf den Beinen halten konnte.
    Meine Tochter war in Gefahr, und ich konnte ihr nicht helfen.
    Ein Uhr in der Nacht.
    Ich hielt den blauen Knopf fest in der Hand.
    «Sei tapfer, Sophie», flüsterte ich ins Halbdunkel des Krankenzimmers und versuchte alle Willenskraft darauf zu richten, schneller gesund zu werden. «Mommy kommt, das weißt du.»
    Ich konzentrierte mich auf die vergangenen sechsunddreißig Stunden, versuchte, das ganze Ausmaß der Tragödie einzuschätzen. Und ich dachte über die Gefahren nach, die mich erwarteten.
    Perspektivisch, vorausschauend, systematisch.
    Brians Obduktion sollte gleich morgen in aller Früh vorgenommen werden. Ein Teilerfolg für mich, wenngleich teuer erkauft. Ich hatte meinen Kopf in die Schlinge gesteckt.
    Aber die Zeit arbeitete für mich, und ich hatte ein Stück Kontrolle zurückgewonnen.
    Neun Stunden, so rechnete ich mir aus. Neun Stunden, um mich zu erholen. Dann, egal in was für einem Zustand, würde ich in Aktion treten.
    Ich dachte an Brian, an seinen Tod auf dem Küchenboden. Ich dachte an Sophie, daran, dass sie entführt worden war.
    Schließlich erlaubte ich mir einen kurzen Moment der Trauer um meinen Mann. Es hatte ja doch glückliche Zeiten mit ihm gegeben.
    Wir waren einmal eine Familie gewesen.

[zur Inhaltsübersicht]
    15. Kapitel
    D.D. schaffte es um halb drei in ihr Apartment in North End zurück. Komplett angezogen ließ sie sich aufs Bett fallen und stellte den Wecker auf halb sieben. Als sie sechs Stunden später aufwachte, geriet sie sofort in Panik.
    Schon halb neun? Nicht zu fassen. Sie hatte noch nie verschlafen.
    Sie sprang auf, griff nach ihrem Handy und wählte. Bobby antwortete Sekunden nach dem ersten Rufzeichen. «Bin schon auf dem Weg», rief sie gehetzt in die Sprechmuschel. «Ich brauche noch vierzig Minuten.»
    «Okay.»
    «Scheiße! Dieser Verkehr!»
    «D.D.», erwiderte Bobby entschieden. «Ich sagte okay.»
    «Wir haben schon halb neun», rief sie und bemerkte zu ihrem Schrecken, dass sie kurz davor stand, in Tränen auszubrechen. Sie ließ sich auf die Bettkante fallen. Gütiger Himmel, was war nur mit ihr los?
    «Ich bin noch zu Hause», sagte Bobby. «Annabelle schläft, und ich füttere gerade das Baby. Übrigens, ich werde gleich den Kollegen anrufen, der damals in dem Fall Thomas Howe ermittelt hat. Wenn wir Glück haben, könnten wir ihn in zwei Stunden im Framingham aufsuchen. Wär doch gut, oder?»
    «Okay.» D.D. klang kläglich.
    «Ich melde mich in spätestens einer halben Stunde. Genieß die Dusche.»
    D.D. hätte normalerweise einen Kommentar dazu abgegeben. Aber stattdessen legte sie wortlos auf. Sie saß auf der Bettkante und fühlte sich wie ein Ballon, dem plötzlich die Luft ausgegangen war.
    Nach einer Weile schleppte sie sich ins weiß geflieste Bad, wo sie die Kleider vom Vortag ablegte und ihren nackten Körper im Spiegel betrachtete.
    Mit beiden Händen fuhr sie sich über den Bauch und versuchte zu erspüren, was sich darin tat. Erst in der fünften Woche. Sie fühlte keinerlei Veränderung. Statt angeschwollen, schien ihr Bauch sogar noch flacher geworden zu sein. Insgesamt glaubte sie, abgenommen zu haben, was aber kaum verwundern konnte, da sie sich in

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