Wer stirbt, entscheidest du
Stillen. Die von draußen hereinströmende kalte Märzluft roch nach Schnee, sonst nach nichts. Sie lehnte sich näher an das offene Fenster.
«Kaffee?», fragte Bobby.
«Wasser», antwortete D.D.
Er zog eine Braue in die Stirn.
«Kaffee hatte ich schon», log sie. «Wenn ich noch mehr trinke, krieg ich das Flattern.»
Sie ahnte, dass Bobby ihr nicht glaubte, und wandte sich an Walthers, bevor ihr Partner fragen konnte, was sie frühstücken wollte. Ein weiterer Korb in Sachen Essen hätte ihn wahrscheinlich fürchten lassen, dass die Welt unterging.
«Schön, dass Sie gekommen sind», sagte D.D. «Und das an Ihrem freien Tag. Ist nicht selbstverständlich.»
Walthers nickte behäbig. Seine Knollennase war voll geplatzter Äderchen. Trinker, folgerte D.D., einer, der das Ende seiner Laufbahn bei der Polizei erreicht hatte. Was ihm bevorstand, würde vielleicht sogar noch härter sein als der Dienst, dachte sie mit einem Anflug von Mitleid. So viele leere Stunden, in denen es nichts anderes zu tun gab, als sich an gute alte Tage zu erinnern und zu bedauern, dass es endgültig damit vorbei war.
«Hat mich überrascht, wegen dieser Howe-Sache angerufen zu werden», sagte Walthers. «Ich habe in vielen Fällen ermittelt, und der war wahrhaftig nicht besonders interessant.»
«Weil eindeutig?»
Walthers zuckte mit den massigen Schultern. «Ja und nein. Die Spurenlage war zwar beschissen, aber alles andere stimmte. Tessa Leoni war nicht das erste Mädchen, über das er sich hergemacht hatte, wohl aber das erste, das ihm die Stirn bot.»
Die Kellnerin kam mit erwartungsvollem Blick. Walthers bestellte einen Trailblazer Special mit vierfachem Wurstbelag, zwei Spiegeleiern und Pommes. Bobby verlangte dasselbe. D.D. war mutig. Sie ließ sich einen Orangensaft kommen.
Kein Zweifel, Bobby starrte sie an.
«Na, dann schildern Sie uns mal den Fall», sagte D.D. zu Walthers, kaum dass die Kellnerin abgezogen war.
«Der Notruf kam über 911. Die Mutter war, wenn ich mich richtig erinnere, ziemlich hysterisch. Der erste Kollege vor Ort fand Tommy Howe im Wohnzimmer, von einem einzigen Schuss tödlich getroffen. Eltern und Schwester hatten Bademäntel an. Muttern schluchzte, der Vater versuchte, sie zu trösten, und die Schwester stand unter Schock. Die Eltern konnten nicht viel sagen. Der Vater war vom Knall aufgewacht und nach unten gegangen, wo er seinen Sohn tot am Boden liegen sah. Das war’s.
Nur die Schwester, Juliana, wusste mehr, musste aber dazu gedrängt werden, auszupacken. Sie hatte eine Freundin über Nacht zu Besuch –»
«Tessa Leoni», sagte D.D.
«Genau. Die beiden hatten sich irgendwas im Fernsehen angesehen. Darüber war Tessa auf dem Sofa eingeschlafen. Juliana ging auf ihr Zimmer und legte sich ins Bett. Kurz nach eins hörte sie Geräusche, ging nach unten und entdeckte ihren Bruder und Tessa auf dem Sofa. Was dann passierte, wusste sie nicht zu erklären. Jedenfalls fiel ein Schuss, Tommy ging zu Boden, und Tessa sprang vom Sofa auf, die Waffe in der Hand.»
«Juliana hat mit angesehen, wie Tessa ihren Bruder erschoss?», fragte D.D.
«Offenbar. Das Mädchen war völlig fertig, sagte, Tessa hätte behauptet, Tommy sei über sie hergefallen. Juliana wusste nicht, was sie machen sollte. Der Bruder drohte zu verbluten. Dann hörte sie ihren Vater herunterkommen. Sie geriet in Panik und sagte ihrer Freundin, sie solle nach Hause gehen, was Tessa auch tat.»
«Sie ging mitten in der Nacht nach Hause zurück?», fragte Bobby und runzelte die Stirn.
«Tessa wohnte in derselben Straße, nur fünf Häuser weiter unten. Als der Vater im Wohnzimmer war, sagte er seiner Tochter, sie solle ihre Mom aus dem Bett holen und dafür sorgen, dass sie die Polizei ruft. Wenig später war ich zur Stelle. Jede Menge Blut im Wohnzimmer, ein toter Teenager, aber keine Schusswaffe.»
«Wo wurde Tommy getroffen?»
«Innenseite linker Oberschenkel. Die Kugel hat die Schlagader zerfetzt. Der Junge ist verblutet. Pech, wenn man bedenkt, dass nur ein Schuss abgefeuert wurde.»
«Ein einziger Schuss?»
«Ja, mit fatalen Folgen.»
Interessant, dachte D.D. Brian Darby hatte drei Schüsse in den Oberkörper kassiert. Was fünfundzwanzig Wochen Ausbildung ausmachen konnten!
«Und wo war Tessa?», fragte D.D.
«Auf Julianas Aussage hin bin ich sofort zur Wohnung der Leonis gelaufen. Ich brauchte nur einmal anzuklopfen. Tessa öffnete; sie hatte geduscht –»
«Nicht zu fassen.»
«Wie gesagt, die Spurenlage war
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