Wer stirbt Palmen ... 1: Der Vater
hier tun, was ich will. Und ich werde sofort schießen.«
Buddke fotografierte. Den Urweltmann mit der dicken Pistole, die wunderschöne Frau in ihrem Haarmantel und das Kind, das jetzt bei ihr war und sich an sie drückte. Dahinter die Palmen, seitlich das sanfte, blaue Meer … Er hatte einen Weitwinkel auf die Kamera gesetzt und machte die Fotos seines Lebens.
»Ich habe Sie gesucht«, sagte Hellersen.
»Das ist eine Lüge.«
»Vor über zwei Monaten wurde am Oststrand von Norderney eine Flaschenpost angeschwemmt. Mit einem Hilferuf: ›Rettet mich!‹ Jetzt sind wir hier, Werner Bäcker! Wir haben Sie gerettet! Es gibt doch noch Menschlichkeit unter den Menschen, wenn sie auch selten geworden ist. Ich lüge nicht. Ich habe die Abschrift Ihres Flaschenbriefes bei mir. Soll ich ihn vorlesen?«
»Nein.« Bäcker senkte die Pistole etwas. »Die Flasche, sie ist tatsächlich gefunden worden? In Norderney … mein Gott, das ist ja verrückt.« Er schüttelte den Kopf.
»Nach sechs Jahren. Darf ich jetzt näher kommen?«
Bäckers Arm mit der Pistole fuhr wieder hoch. »Bleiben Sie, wo Sie sind!« rief Bäcker scharf. »Was wir uns zu sagen haben, kann man auch aus der Distanz. Ja, ich bin Werner Bäcker. Als ich den Brief ins Meer warf, sah das Leben anders aus. So, wie es aussieht, wenn man mehr tot als lebendig im Korallenstaub liegt. Aber inzwischen sind sechs Jahre vergangen. In dieser Zeit hat sich vieles verändert. Alles! Ich brauche keine Hilfe mehr. Ich brauche keine Menschen, keine Zivilisation, nicht das, was Sie Leben nennen. Ich habe meine eigene Welt. Die glücklichste Welt unter der Sonne. Fliegen Sie zurück, und vergessen Sie mich.«
»Das ist nicht möglich, Bäcker.« Hellersen griff in die Brusttasche und holte eine durchsichtige Ausweishülle heraus. Der Presseausweis. »Ich bin Reporter des ›Globus‹. Und hinter mir steht mein Kollege Buddke. Seine Fotos werden um die ganze Welt gehen.«
»Ich weiß.« Bäcker lächelte bitter. »Deshalb wird er mir in wenigen Minuten seine Kamera ausliefern.«
Buddke reagierte schnell. Er drehte sich um und wollte zurücklaufen, aber Bäcker hob die Pistole.
»Stehenbleiben!« schrie er. »Verdammt, ich drücke ab!«
Buddke bremste im vollen Lauf und blieb stehen. Er merkte an der Stimme, daß es Bäcker ernst meinte. Hellersen begann zu schwitzen. Der Schweiß lief ihm in Bächen über das Gesicht. Er stand in der prallen Sonne und starrte den Mann an, über dessen Augen ein Tuch hing und der trotzdem sehr genau beobachtete, was um ihn herum vorging. Er brauchte Zeit, um nachzudenken, wie er mit dieser Situation fertig werden könnte.
»Ich heiße Hellersen«, sagte er etwas töricht. »Fritz Hellersen.«
»Ihr Name interessiert mich nicht. Verlassen Sie die Insel. Sofort! Die Flaschenpost ist überholt. Es gibt niemanden hier, der gerettet werden will. Doch ja – ich muß mich jetzt retten vor Ihnen! So kehren sich die Dinge um.«
»Ich dachte – und so stand es ja auch in Ihrem Notruf –, Sie wären allein. Alle wären ertrunken. Ihre Frau, die Kinder …«
»Meine Frau wurde nach mir angeschwemmt! – Sie sehen es ja. Die drei Kinder sind allerdings im Meer verschwunden. Paul wurde hier auf der Insel geboren. Ein neuer Anfang.« Er winkte mit der Pistole. »Nun wissen Sie genug. Gehen Sie, bitte …«
»Noch eine Frage.«
»Ja?«
»Glauben Sie, daß Sie von jetzt ab, wo Sie entdeckt worden sind, in Ruhe gelassen werden? Es ist das Schicksal aller Entdeckten, in einen Umwandlungsprozeß hineingezogen zu werden. Sie werden dem nicht mehr entgehen können, Bäcker. Nach uns werden andere kommen, und sei es auch nur, um die Helden eines modernen Abenteuers mit eigenen Augen zu sehen. Machen Sie sich nichts vor, Bäcker! Für Sie gibt es keine einsame Insel mehr!«
Die Worte trafen Bäcker wie ein Schlag. Er wußte: Dieser Mann hatte recht. Aber welche Folgen würde das für ihn und Anne haben?
Und was war mit seinem verbrannten Gesicht? Hier war er Annes Mann und Pauls Vater. Sie hatten sich an sein Aussehen gewöhnt. Sie liebten ihn. Aber da draußen in der Welt würde er ein Horrorwesen sein, vor dem sich alle schaudernd abwenden würden. Und Anne wäre eine strahlendschöne Frau. Er hatte das Gefühl, als würde eine harte Faust sein Herz zusammendrücken. Was soll ich tun? dachte er. Ich muß sie töten. Aber wie, womit? Mit der Pistole kann ich drohen, schießen kann ich nicht damit. Ich muß sie erst einmal daran hindern, die Insel
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